Schuster: Eine Mannschaft wie uns gab es bisher nicht

Darmstadt (dpa) - Trainer Dirk Schuster hat mit dem SV Darmstadt 98 ein Fußball-Märchen geschrieben und den Verein innerhalb von drei Jahren vom Tabellenende der 3. Liga in die Bundesliga geführt.

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Im dpa-Interview spricht er über die Gründe für den Erfolg, der selbst ihn überrascht hat, und verrät, was er sich für die Zukunft wünscht.

Herr Schuster, der SV Darmstadt 98 hat sich allen Unkenrufen zum Trotz in der Bundesliga-Hinrunde gut verkauft. Was hat Sie besonders überrascht?

Dirk Schuster: Das war vor allem die Tatsache, wie viele Mannschaften mit Weltstars und Riesenetats sich gegen uns sehr schwergetan haben. Dass wir in Dortmund und Schalke gepunktet und in Leverkusen sogar gewonnen haben, war schon ein bisschen überraschend.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Schuster: Ich denke, dass unsere Spielweise in der Bundesliga absolut unüblich ist. Eine Mannschaft mit so viel Kampf, Disziplin, Ordnung und defensiver Stabilität hat es in der Liga so bisher nicht gegeben. Ein Faktor ist auch unsere Viererkette, die wir zum Teil noch mit äußeren Mittelfeldspielern aufgefüllt haben. Die letzte Fußball-WM hat gezeigt, dass Mannschaften, die von der Papierform klar unterlegen waren, gute Ergebnisse erzielt haben, wenn sie hinten die Räume enger gemacht haben. Denn damit waren die Passwege für die angreifende Mannschaft blockiert. Das haben wir dann auch in Darmstadt probiert.

Ihr Team besticht mit mannschaftlicher Geschlossenheit. Ist das Professionalität oder ist da auch noch ein bisschen Elf-Freunde-müsst-ihr-sein-Mentalität dabei?

Schuster: Beides. Ohne den Charakter der Mannschaft, ohne den großen Teamgeist hätten wir in der Bundesliga nicht so viele Punkte geholt. Aber natürlich haben wir auch gestandene Bundesliga-Profis dazu geholt. Dadurch ist die Qualität gestiegen, die Professionalität und das Trainingsniveau.

Gab es Anpassungsprobleme in der Bundesliga?

Schuster: Einige Spieler, die wir aus der 2. Liga mitgenommen haben oder die seit der 3. Liga schon bei uns spielen, haben sich nochmals extrem weiterentwickelt — Aytac Sulu etwa oder Jerome Gondorf. Im ersten Spiel gegen Hannover 96 hatten sie das eine oder andere Problemchen. Es war uns bewusst, dass sie sich an das neue Tempo, die Härte und vor allem die Handlungsschnelligkeit gewöhnen müssen. Der Prozess ging aber sehr schnell voran. Nach zwei, drei Spielen wussten wir: Die kriegen das hin. Aber wir hätten ihnen auch noch zwei, drei weitere Spiele zugestanden.

Wo sehen sie derzeit sportlich Luft nach oben?

Schuster: Im Spiel nach vorne, im Umschaltspiel, bei schnellen Kontern müssen wir uns noch verbessern. Wir hatten viele Situationen, in denen der finale Pass nicht kam, wo wir die falschen Lösungen gewählt haben, wo die Laufwege nicht gestimmt haben. Daran müssen wir in der Vorbereitung auf die Rückrunde noch arbeiten.

Wird es in der Winterpause Veränderungen im Kader geben?

Schuster: Wir haben volles Vertrauen in unseren Kader. Aber halten die Augen offen. Ein Neuer müsste uns aber sportlich deutlich voranbringen, charakterlich passen und für den Verein bezahlbar sein. Über Stefan Kießling von Bayer Leverkusen nachzudenken, wäre für uns utopisch gewesen. Wenn so ein Spieler Wechselgedanken äußert, ist er für zwei Drittel der Bundesliga hochinteressant. Wie sollte das für uns gehen?

Stellen Sie sich vor, Präsident Rüdiger Fritsch würde ihnen zu Weihnachten einen neuen Spieler schenken — wen würden sie sich wünschen?

Schuster: (grinst) Einer, der in der Rückrunde zehn Tore macht und Sandro Wagner noch zehn auflegt.

Also ein Offensivspieler?

Schuster: Ich glaube, in der Defensive sind wir ganz gut aufgestellt. Offensiv könnten wir einen weiteren Qualitätszuwachs ganz gut gebrauchen, um noch etwas torgefährlicher zu werden. Aber wie gesagt, wir vertrauen auch unserem aktuellen Kader.

Sie waren selbst Bundesliga-Spieler. Wenn Sie Ihre Spielerzeit vergleichen mit heute, was ist anders?

Schuster: Früher konnte man sich auf dem Platz mehr erlauben (lacht) Da konnte man auch mal jemanden rasieren. Ob das jetzt gut ist oder schlecht, will ich mal offenlassen. Aber in der heutigen Zeit hätte ich es als Abwehrspieler viel schwerer als damals.

Sie haben sich selbst als Vertreter der Backsteinstoßer-Fraktion bezeichnet. Wie viele Backsteinstoßer haben sie jetzt in der Mannschaft?

Schuster: (lacht) Keinen so krassen wie mich.

Und wie viel von der Kämpfermentalität des Spielers Dirk Schuster steckt in der Mannschaft?

Schuster: Sehr viel. Die Einstellung ist das Entscheidende. Man muss sich nach jedem Spiel sagen können: Wir haben alles versucht. Wenn eine Mannschaft besser war, dann kann man das auch eingestehen. Einstellung, Disziplin und Leidenschaft waren für mich als Spieler die Grundtugenden, die man den Fans, dem Verein, aber auch den Mitspielern schuldig ist. Dass mal ein Zweikampf verloren geht oder ein Fehler gemacht wird, ist nicht schlimm. Aber ich hatte schon immer ein Problem damit, wenn jemand gesagt hat: „Komm ich heute nicht, komm ich morgen“. Das gibt's bei mir nicht. Das ist dann die falsche Einstellung zum Job.

Sie haben gesagt, wenn man einmal in der Bundesliga ist, will man nicht mehr weg. Wenn Sie nicht mehr mit Darmstadt in der Bundesliga sein könnten, was wäre dann für ein Verein interessant?

Schuster: Mit diesen Gedanken befasse ich mich nicht. Ich bin der Überzeugung, dass wir es schaffen können — auch wenn es brutal schwierig wird. Wir haben hier eine riesige Aufgabe vor der Brust. Diesen steinigen Weg müssen wir gehen, den wollen wir gehen und ich denke, dass wir ihn erfolgreich gehen können.

Sie haben in den vergangenen Jahren in Darmstadt großartige Arbeit geleistet. Das hat sicher auch das Interesse anderer Vereine geweckt. Gab es Anfragen?

Schuster: Nein.

Das kann ich mir gar nicht vorstellen ...

Schuster: So ein Vertrag bis 2018 schreckt auch ab. Es wurde in den Medien immer wieder kolportiert, dass sich da ein Verein vorstellen könnte. Aber Gespräche gab es keine.

Vor einem Jahr haben Sie sich mehrfach sehr über die Trainingsbedingungen für den Verein beklagt. Hat sich da etwas geändert?

Schuster: Wenn man sich jeden Tag mit Problemen rumschlagen muss, weil zum Beispiel der Platz nicht gemäht ist, keine Linien drauf sind oder die Löcher nicht zugemacht wurden, wenn die Duschen teilweise kalt sind, wenn man das Gefühl hat, dass es keinen interessiert, was mit der Mannschaft passiert, dann krieg ich Kotzreiz. Aber nach der Installation von Klaus Drach (Geschäftsführer der Darmstädter Sportstätten GmbH) von städtischer Seite und durch das Engagement des Vereins sind die Bedingungen inzwischen besser geworden. So haben wir einen zweiten Naturrasenplatz in sehr guter Qualität bekommen. Das ist ein Zeichen, dass sich hier etwas bewegt.

Priorität hat das neue Stadion — auch wenn Sie da nur am Rande Einfluss haben — oder?

Schuster: Das Stadion ist mit unserer täglichen Arbeit verbunden. Wir wollen die Qualität der Mannschaft steigern, sie weiterentwickeln. Darmstadt soll im bezahlten Fußball eine feste Größe werden - in der 1. oder 2. Liga. Dazu ist das Stadion wichtig, um die wirtschaftlichen Mittel dafür zu generieren.

Sie sagen: 1. oder 2. Liga. Können Sie sich vorstellen, mit Darmstadt in die 2. Liga zu gehen?

Schuster: Mit dem Gedanken beschäftige ich mich nicht. Wenn die Situation eintreten sollte, würde man sich unterhalten. Aber wenn wir in der Rückrunde mal fünf oder sechs Spiele verlieren, wird sich der Verein vielleicht auch fragen, ob man mit einem anderen Trainer eine solche Negativspirale stoppen könnte. Das ist im Fußball ganz natürlich. Das würde ich als Präsident auch so machen. Aber die Gedanken an die 2. Liga sind ganz weit weg.

Was wünschen Sie sich denn für das neue Jahr?

Schuster: Den Klassenerhalt.

Und zu Weihnachten?

Schuster: Dass wir die Punkte dafür holen (lacht).

ZUR PERSON: Dirk Schuster wurde am 29. Dezember 1967 in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) geboren. Als Spieler war er unter anderem für den 1. FC Magdeburg, den Karlsruher SC und den 1. FC Köln am Ball. Den SV Darmstadt 98 übernahm Schuster als Trainer im Dezember 2012 auf dem letzten Tabellenplatz der 3. Liga und führte ihn innerhalb von zweieinhalb Jahren in die Bundesliga.