Spielforscher: „Es kommt auf einen Mix von Vielem an“
Düsseldorf (dpa) - Die Trainer der Fußball-Bundesliga werden immer mehr zu Taktik-Füchsen. Sie legen sich nicht nur auf ein Spielsystem fest, sondern variieren während einer Partie mehrmals.
Gerade die Vielfalt von Formationen und Spielauffassungen ist für den Sportspielforscher Daniel Memmert der zentrale Faktor für Erfolg. 3-5-2, 5-3-2, 4-1-4-1, 4-4-2 oder 4-3-3? „Es kommt auf einen Mix von Vielem an, wie zum Beispiel Rhythmuswechsel. Der Gegner darf nie wissen, was man macht“, erklärt Memmert im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Einen Mangel an taktischen Finessen gibt es nach Ansicht des Experten von der Deutschen Sporthochschule Köln in Liga eins nicht, mehr Mut zur Kreativität wäre aber noch wünschenswert: „Wir haben von der taktischen Flexibilität schon in der Triple-Saison des FC Bayern einiges zu beobachten gehabt. Doch es hat mit neuen Ideen 2014/15 etwas Fahrt aufgenommen“, urteilt Memmert. Für ihn hatten Bayer Leverkusen, der VfL Wolfsburg und Borussia Mönchengladbach in punkto Taktik besonders viel zu bieten.
Ein gelungenes Novum war für ihn die Offensiv-Variante von Bayer-Trainer Roger Schmidt, mit der er 2014 mit RB Salzburg österreichischer Meister wurde. Beeindruckend fand Memmert das 2:0 der Leverkusener bei Borussia Dortmund zum Saisonstart. In der Partie habe Schmidt zeigen können, dass sein Konzept auch in der Bundesliga funktionieren kann. „Nämlich das aggressive Pressing und Gegenpressing, bei dem er die ganze Mannschaft hoch gegen den Ball arbeiten lässt“, erklärt Memmert.
Was die Weiterentwicklung von Mannschaften angeht, steht bei ihm der Liga-Dritte ganz oben. „Ein gutes Beispiel ist Gladbach, das eine gute Balance zwischen Ballkontrolle, starker Defensivarbeit, schnellem Umschaltspiel in beide Richtungen und extrem zielgerichteten Kontern gefunden hat“, sagt Memmert. Ein Idealbeispiel sei das 2:0 beim FC Bayern gewesen: „Da hat die Borussia die beiden Viererketten extrem gut verschoben, die Räume total eng gemacht - ein perfektes Spiel.“
Der Erfolg des Tabellenzweiten Wolfsburg, der wie die Mehrheit der Bundesligaclubs vorwiegend das 4-2-3-1-System praktiziert, hat drei Gründe: Einen herausragende Kader um Kevin De Bruyne, eine gute taktische Mischung und einen versierten Chefcoach. „VfL-Trainer Dieter Hecking ist voll auf der Höhe der Zeit“, urteilt Memmert.
Das Perfektionieren eines Spielsystems oder der spontane Wechsel von Systemen in einer Partie ist nicht alleiniger Garant für Erfolg. Taktik-Freak Pep Guardiola hat zwar die Dreierkette in die Bundesliga eingeführt, „aber auch nicht ganz so erfolgreich, wie er gewünscht hatte“, meint Memmert. Statt des anvisierten Titel-Triples steht allein die deutsche Meisterschaft zu Buche.
Am Ende führen viele Wege zum Ziel - oder auch nicht. Der 1. FC Köln rührte oft Beton in der Abwehr an, spielte 13 Mal zu null und blieb in Liga eins. Dafür schmiedete Coach Peter Stöger Riegel mit 4-1-4-1-, 4-5-1- oder 4-4-2-Systemen. Beim FC Augsburg (0:0) versiegelte er den eigenen Strafraum sogar mit 5-3-2 und 5-4-1.
„Neun 0:0 sollten für Leverkusen und Gladbach kein Anspruch sein, wenn man Champions League spielen will“, sagt er. „Aber bei einem Aufsteiger die Null zu kritisieren, statt die Null, die hinten steht, als positiv zu bewerten, ist für mich eigenartig.“ Trainer Roberto Di Matteo vom FC Schalke 04 hatte zuweilen sogar keine Scheu, eine Fünferkette aufzubieten, schummelte sich mit enttäuschenden Leistungen aber nur in die Europa League.
„Es wird auf Kreativität ankommen, darauf, nicht berechenbar zu sein, und den Gegnern Aufgaben zu stellen, bei denen sie nicht so schnell Lösungen finden“, empfiehlt Memmert. Zuviel Flexibilität kann auch zum Eigentor werden: Kasper Hjulmand probierte mit Mainz 05 gleich fünf verschiedene Systeme aus. „Wir hatten Angst, dass wir die Resultate der Entwicklungsarbeit erst am neunten Spieltag in Liga zwei sehen“, begründete 05-Manager Christian Heidel die vorzeitige Entlassung des Dänen.