Talentschmieden: Abwerbe-Alarm trotz Superbilanz

Mönchengladbach (dpa) - Der deutsche Profifußball ist stolz auf seine Talentschmieden, sorgt sich aber über immer aggressivere Abwerbe-Versuche und den Einfluss von Spielerberatern schon bei ganz jungen Talenten.

„Das hat Auswüchse angenommen. Die Tendenz ist einfach alarmierend“, erklärte Andreas Rettig, Manager des Zweitligisten FC Augsburg und zugleich Leiter der Kommission Leistungszentren bei der Deutschen Fußball Liga (DFL).

Jüngst hatte Hertha BSC allen Scouts der TSG Hoffenheim in Berlin Stadionverbote erteilt und sich bei der DFL über Abwerbepraktiken des Erstligisten beschwert. „Wir haben den Brief von Hertha BSC mit Sorge zur Kenntnis genommen und können den Vorgang nicht gut heißen“, sagte DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus zu dem Fall. „Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein 14-Jähriger einen Spielerberater braucht. Da wird eine Pseudo-Bedeutung vorgegaukelt, die uns das Leben schwer macht“, bemerkte Rettig zu dem anderen Problem.

Sogar 12-Jährige werden schon in Wechselabsichten verstrickt. Die DFL will nach der 2007 von den Vereinen wieder aufgekündigten Selbstverpflichtung, keine Talente aus anderen Leistungszentren abzuwerben, zumindest eine Altersbeschränkung ab 15 oder 16 Jahren erreichen, „um diesen Blödsinn einzuschränken“, sagte Rettig. Liga-Präsident Reinhard Rauball forderte „eine Vereinbarung der Vernunft“ und will dafür auch die Spielerberater „mit ins Boot holen“. Letztlich könne das Problem jedoch nur durch ein Reglement der Europäischen Fußball-Union (UEFA) geklärt werden.

Insgesamt aber wertet die DFL die vor zehn Jahren eingeführte Pflicht, dass Erst- und Zweitligisten ein eigenes Nachwuchszentrum betreiben müssen, als „Erfolgsstory“ (Rauball). Die deutschen Proficlubs haben seit 2001 mehr als 600 Millionen Euro in die 36 Talentschmieden investiert. In der laufenden Saison sind es 90 Millionen Euro, rund doppelt so viele wie vor zehn Jahren. 275 der derzeit 525 Erstliga-Spieler haben ein deutsches Leistungszentrum durchlaufen. Der Altersdurchschnitt der Bundesligaprofis ist von 27,09 Jahren in der Saison 2001/02 auf derzeit 25,77 Jahre gesunken.

Von den 22 Nationalspielern, die Bundestrainer Joachim Löw für den Doppelpack gegen Kasachstan und Australien zusammengeholt hatte, sind 20 in den Leistungszentren ausgebildet worden. Nur Miroslav Klose und Arne Friedrich waren einen anderen Weg gegangen. „Die Klammer zum DFB stimmt“, betonte Rauball mit Verweis auf die jüngeren Erfolge der deutschen Nachwuchs-Nationalmannschaften und den hochgelobten Auftritt des Löw-Teams in Südafrika. Mit einem Altersschnitt von unter 25 Jahren war Deutschland auf WM-Platz drei gestürmt.

Grund für die immer erfolgreichere Arbeit der Talentschmieden, die nach der völlig verkorksten EURO 2000 der frühere DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder auf den Weg gebracht hatte, sind auch eine erhöhte Trainer-Qualität und ein internes Ranking. So hatten in Thomas Tuchel (Mainz), Frank Schaefer (Köln), Marco Kurz (Kaiserslautern) und Marco Pezzaiuoli (Hoffenheim) gleich vier aktuelle Bundesligatrainer zuvor mit den Talenten gearbeitet. Dazu haben noch sechs Zweitliga-Trainer und sechs Manager ihre Wurzeln in den Nachwuchsabteilungen. Insgesamt werden derzeit in den 36 Leistungszentren 5445 Kinder und Jugendliche ausgebildet.