Müller: Kein Bock auf den „Loser-Stempel“
London (dpa) - Für fünf Minuten war Thomas Müller schon einmal ein umjubelter Finalheld - im Londoner Wembleystadion aber möchte es der Vorzeige-Bayer auch noch nach dem Schlusspfiff sein.
„Wenn du das Finale dreimal verloren hast, hast du nicht zu Unrecht einen Loser-Stempel drauf“, beschrieb der Fußball-Nationalspieler mit den für ihn typisch klaren Worten die Ausgangslage seines FC Bayern im Spiel der Spiele gegen Borussia Dortmund.
Der 23-Jährige sprach auch in einer Video-Botschaft an die Münchner Fans nicht drumherum: „Ich bin heiß! Ihr seid heiß! Dann holen wir uns das Ding!“ Trainer Jupp Heynckes glaubt fest an Müller als einen Hauptdarsteller vor den 86 000 Zuschauern beim Champions-League-Finale in Wembley: „Thomas wird eine ganz wichtige Rolle im Endspiel einnehmen.“
Wie vor einem Jahr. Es lief die 83. Minute, als Müller am 19. Mai 2012 die Münchner Arena mit seinem Kopfball-Aufsetzer ins Chelsea-Tor erbeben ließ. Bayern führte 1:0, drei Minuten später verließ der Torschütze mit verhärteten Muskeln unter donnerndem Applaus das Spielfeld - und dann nahm das Drama gegen den FC Chelsea seinen Lauf. 1:1-Ausgleich durch Didier Drogba (88.) und Niederlage im Elfmeterschießen. Müller, inzwischen Elfmeterschütze Nummer eins bei den Münchnern, musste hilflos zusehen. Schnee von gestern. „Für uns Spieler geht es darum, jetzt das Ding zu holen“, sagte Müller.
Er hat in seinem besten Jahr seit dem kometenhaften Aufstieg vor drei Jahren zum WM-Torschützenkönig 2010 maßgeblich zum erneuten Einzug des deutschen Rekordmeisters in das Königsklassen-Endspiel beigetragen. Acht Tore hat Müller auf dem Weg nach Wembley erzielt, zwei weniger als Dortmunds Topschütze Robert Lewandowski. Drei Tore erzielte Müller allein in den beiden Halbfinalspielen gegen den FC Barcelona. „Er sieht die Räume, mit Thomas haben wir vorne viele Überraschungen“, bemerkte Teamkollege Arjen Robben über ihn.
Die sportlich Verantwortlichen schwärmen über den vielseitig verwendbaren Offensiv-Allrounder, dem Trainer Heynckes schon im Winter das Prädikat „Weltklasse“ verliehen hatte. „Thomas ist für mich in dieser Saison einer der Garanten, dass wir offensiv, aber auch zur Defensive überragend und stabil sind. Thomas spielt eine absolute Topsaison“, sagte Heynckes.
Sportvorstand Matthias Sammer sieht in dem Eigengewächs, das mit zehn Jahren zum FC Bayern kam, eine „Identifikationsfigur“ mit einer positiven Ausstrahlung auf das Team. „Er hat eine für uns fast goldene Art. Er ist Bayern München in seiner ganzen Persönlichkeit. Er hat als Vorbild für die jungen Spieler im Verein den Durchbruch aus den eigenen Reihen geschafft. Er ist ein absolut positiver Geist.“ Müller selbst wird - im Gegensatz zu vielen anderen im Verein - auf ewig dem knorrigen Louis van Gaal dankbar sein: „Er hat mir den Startschuss gegeben. Ich glaube nicht, dass viele Trainer den Mut gehabt hätten, einen jungen Spieler ins kalte Wasser zu werfen und andere, die viel Ablöse gekostet haben, auf die Bank zu setzen.“
„Müller spielt immer“, lautete ein Fußball-Gesetz von van Gaal. Der Angreifer mit den dünnen Haxen bewegt sich auf dem Spielfeld unberechenbar. Er agiert oft unorthodox, in manchen Spielen will ihm lange nichts gelingen, aber dann explodiert er. 13 Tore hat Müller in der überragenden Münchner Bundesliga-Saison erzielt, dieselbe Anzahl an Treffern hat er zudem vorbereitet - ein Torjäger und Teamworker.
„Er ist aus der Truppe überhaupt nicht wegzudenken, nicht verletzungsanfällig, sehr laufstark, agil, locker, wenn man locker sein muss“, lobte Heynckes, der jedoch auch ein Aber hinzufügt: „Manchmal muss der Trainer ihn daran erinnern, dass es ernsthaftere Situationen gibt im Leben, auch wenn es nur Fußball ist.“
Müller quasselt gerne, auf und neben dem Platz, er braucht das. Er ist ein ernsthafter Profi, aber auch derjenige im Team, der die flottesten Sprüche draufhat. Niederlagen hauen einen wie ihn nicht lange um, es ist vielleicht auch ein Vorteil seiner Jugend mit immer noch erst 23 Jahren. Aber wie gesagt, zwei Endspiel-Pleiten in der Königsklasse reichen auch einem Gaudi-Burschen wie ihm: „Mir läuft die Zeit nicht davon, aber auch für mich wird es mit dem Titel Zeit.“