Ein Tor für die Ewigkeit: Jürgen Sparwasser wird 65
Frankfurt/Main (dpa) - Das Tor, das Jürgen Sparwasser zur Fußball-Legende machte, hat sich tief in das Gedächtnis der deutschen Fans eingegraben.
„Es gab mal eine Umfrage von Studenten, welche drei Tore der Fußball-Geschichte den Zuschauern am meisten in Erinnerung geblieben sind. Das 3:2 für Deutschland im WM-Finale 1954, das Wembley-Tor und meins“, erzählt Sparwasser nicht ohne Stolz in einem Gespräch der Nachrichtenagentur dpa.
39 Jahre danach wird er immer noch regelmäßig auf sein 1:0 für die DDR im WM-Vorrundenspiel 1974 gegen den späteren Weltmeister BRD angesprochen. So auch vor seinem 65. Geburtstag, den der frühere Stürmer am 4. Juni im Familienkreis feiert. „Mal sehen, wer kommt. Ich weiß nicht, was meine Frau geplant hat. Es wird eine Überraschungsparty“, sagt Sparwasser.
Die 78. Minute an jenem 22. Juni hat Sparwassers Leben auf einen Schlag verändert und für immer geprägt. „Wenn man auf meinen Grabstein eines Tages nur Hamburg '74 schreibt, weiß jeder, wer darunter liegt“, hat der Jubilar einmal treffend die Bedeutung dieses Moments beschrieben. „Das Tor ist für mich aber nie zur Belastung geworden, zumal es schön gemacht war. Es war wie aus dem Lehrbuch“, sagt Sparwasser heute.
Überbewertet hat er den Erfolg gegen Franz Beckenbauer & Co. nie. „Für uns war das ein Spiel wie alle anderen bei dieser WM, auch wenn mir das niemand glaubt. Aufgeladen wurde es durch die Funktionäre“, betont Sparwasser. Sportlich viel wertvoller war für ihn der Triumph mit dem 1. FC Magdeburg im Europacup der Pokalsieger wenige Wochen zuvor durch einen 2:0-Endspielsieg gegen den AC Mailand. Zudem wurde Sparwasser dreimal Meister, viermal Pokalsieger und absolvierte 53 Länderspiele für die DDR, in denen er 15 Tore erzielte.
Die Verbindung zu seinen ehemaligen Mitspielern ist nie abgerissen, obwohl Sparwasser nach seiner Flucht aus der DDR seit 25 Jahren im Rhein-Main-Gebiet wohnt. „Wir treffen uns jedes Jahr um den 8. Mai herum und bestreiten die dritte Halbzeit. Wer noch laufen kann, spielt ein wenig Fußball. Die anderen halten das Bier kalt“, berichtet Sparwasser schmunzelnd. Oder erfüllen, so wie er, Sonderaufgaben: „Ich muss immer die Frauen betreuen.“
Eine andere Verbindung in die neuen Bundesländer hat Sparwasser dagegen im Vorjahr gekappt. In seiner alten Heimat wollte er ein Projekt für Kinder anschieben, das sich jedoch nicht realisieren ließ. Daraufhin heuerte Sparwasser als Projektleiter des Talenttrainings in der Frankfurter Fußballschule von Bundesliga-Rekordspieler Karl-Heinz „Charly“ Körbel an.
„Wir arbeiten mit Kindern von sechs bis zwölf Jahren, immer montags bis mittwochs. Der Zulauf ist groß, pro Tag 60 Kinder“, berichtet Sparwasser. Die Arbeit mit den Kids ist ihm eine Herzensangelegenheit. „Die sind mit einer riesigen Begeisterung dabei. Es macht unheimlich Spaß. Wenn man die glänzenden Kinderaugen sieht, vergisst man den Stress“, sagt er.
Sparwasser klingt zufrieden und mit sich im Reinen. Vergessen sind die schweren Anfänge im Westen, wohin er 1988 mit seiner Frau flüchtete, „weil ich immer in den Spiegel blicken können wollte“. Die Erinnerungen an diesen einschneidenden Lebensabschnitt sind mindestens genauso präsent wie an sein geschichtsträchtiges Tor. „Es hieß ja: Entweder Bautzen oder ein neues Leben. Wir hatten nichts außer zwei Koffer“, erklärt Sparwasser.
Vor die Tür traute sich der bekannte Fußballer in den ersten Tagen nur mit einem Hut, den seine Frau für 56 Mark erstanden hatte, und hochgeschlagenem Mantelkragen. Darüber kann Sparwasser, der in Bad Vilbel bei Frankfurt sesshaft geworden ist, heute nur noch schmunzeln. Zumal die Familie längst wieder vereint ist. Seine Tochter, die damals eingeweiht war, wohnt um die Ecke im Nachbarort.
Sein Enkel hat ihn unlängst mit moderner Technik versorgt, damit Sparwasser die Bundesliga intensiv verfolgen kann, obwohl er nur noch selten ins Stadion geht. „Er hat mir zu Weihnachten Sky geschenkt, da schaue ich die Konferenz“, erzählt der Jubilar und fügt kritisch hinzu: „Der deutsche Fußball ist außer Bayern und Dortmund nicht das Leckerli, als das er hingestellt wird.“