Nationalmannschaft Eine neue Mannschaft wächst
Das Nationalteam sortiert sich vor dem Länderspiel am Samstag gegen England nach dem wahrscheinlichen Ausfall Schweinsteigers für die EM.
Düsseldorf. Es ist gut sechs Jahre her, als Kevin Prince Boateng dem deutschen Vorzeige-Fußballer Michael Ballack derart in die Parade fuhr, dass dessen Ambitionen auf die Fußball-WM in Südafrika 2010 erledigt waren. Die Nation war in Aufruhr, ein Team ohne Anführer, hieß es — da könne man die Rückflüge ja gleich buchen. Im Innersten des DFB-Teams war die Rechnung eine andere: Ohne Ballack, den Old-School-Anführer, kann eine neue Generation mit einem neuen Stil ihr eigenes Süppchen kochen. Heraus kam damals feiner Fußball, ein dritter WM-Platz und die Grundlage für den WM-Titel von Rio vier Jahre später.
Sechs Jahre später fällt nun wohl Kapitän Bastian Schweinsteiger für die EM in Frankreich (10. Juni bis 10. Juli 2016) aus. Ein Teilriss des Innenbandes im Knie wird ihn sechs bis acht Wochen, beschäftigen. Und in zehn Wochen startet die EM. Laut „Spiegel online“ konnte „Schweini“ seit dem WM-Titel seinem Job mehr als 25 Wochen lang nicht nachgehen. Es wird knapp. Aber wie seinerzeit im Fall Ballack sind die Verbliebenen von Entsetzen entfernt. Toni Kroos etwa: „Für mich ändert sich nicht viel. Ich spiele in der Mitte der Mannschaft. Bastian hat seinen Wert unter Beweis gestellt, andererseits ist es nicht das erste Mal, dass er verletzt ist.“
Ähnlich äußerte sich Thomas Müller vor dem Länderspiel am Samstag in Berlin gegen England (20.45 Uhr/ZDF). Schweinsteiger ist mit dem „Capitano“ Ballack gewiss nicht zu vergleichen, weil er die Mannschaft immer anders verstand, als der Hierarchie-Spieler Ballack. Aber es wird doch deutlich, dass sich in der Nationalelf selbstbewusste Ich-AGs sammeln, die erkennen, wann der nächste Karriereschritt nah ist.
Müller und Kroos etwa stecken mittendrin in ihren Führungsrollen, die Kroos schon bei der EM 2012 gerne ausgefüllt hätte. Mit ihm Mats Hummels. Und auch Jerome Boateng ist mit Manuel Neuer zum Taktgeber in diesem Ensemble geworden, das sich mit den Spielen gegen England und Italien endlich wieder hin zu einer echten Mannschaft entwickeln will. Es scheint, als könne dieses Teambuilding für Joachim Löw bis Frankreich die größte Aufgabe werden. Dass ausgerechnet Ballack am Freitag Schweinsteiger zur Seite sprang, überrascht nicht. Er wird sich wiedererkennen: Schweinsteiger müsse nun „zeigen, dass er bereit ist, alles zu tun, um es zu schaffen“, sagte Ballack der „Welt“. „Das traue ich ihm zu.“
Gute Spieler hat Löw genug. Joshua Kimmich und Julian Weigl lauern über die U21 auf ihre Chance. Hinter und nach Schweinsteiger. Und dann sind da noch zwei Akteure aufzubauen: Mario Gomez darf gegen England stürmen, Mario Götze erhielt für das Spiel gegen Italien am Dienstag in München eine Startelf-Garantie.
Gomez habe spürbar an „Sicherheit gewonnen“, sagte Löw über den Stürmer von Besiktas Istanbul, der mit 19 Toren der derzeit treffsicherste Schütze in der türkischen Liga ist. Und mit Götze, dem von Pep Guardiola in München Zurückgelassenen, hat Löw fixe Pläne: Für Löw ist Götze seit jeher ein besonderer Fußballer, wie gemacht für des Trainers Art des Fußballs: „Wir müssen ihm jetzt auch ein Stück helfen.“ Kroos tat das mit einem bemerkenswert wahren Satz: „Dass er weiter wichtig ist, zeigt die Tatsache, dass viel über ihn geschrieben wird.“
Das Thema Wechsel sei ein zentrales Thema in einem Gespräch zwischen Löw und Götze gewesen, verriet der Bundestrainer. Und sagte: „Es wird das Allerwichtigste sein, dass er ein Gespräch mit dem kommenden Trainer führt.“ Er meinte den kommenden Bayern-Trainer Carlo Ancelotti. Alles ist im Fluss.