Zum Tode von Johan Cruyff König Johan ist tot, seine Idee lebt

Mit Johan Cruyff verliert die Sportwelt einen ganz Großen. Der Niederländer gilt als der Erfinder des modernen Fußballs.

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Düsseldorf. Er hat in den Siebziger Jahren bei Ajax Amsterdam den „Voetbal total“ erfunden, es war ein Fußball vom anderen Stern. Er hat das Fußball-Leichtgewicht Holland auf die sportliche Landkarte gebracht. Er hat aber auch gelebt mit allen Facetten, Frauen, Schampus, Zigaretten. Und über seine Zeit mit der Elftal, der niederländischen Nationalmannschaft, hat er gesagt: „Wir konnten lachen und hatten eine großartige Zeit. Ich stehe für eine Ära, in der bewiesen wurde, dass Fußball gleichzeitig attraktiv und erfolgreich sein kann, und außerdem sehr viel Spaß macht.“ Am Donnerstag hat er den späten Preis für seine Lebensweise bezahlt: Die Fußball-Legende Johan Cruyff ist im Alter von 68 Jahren an Lungenkrebs gestorben. Es bleiben — unvollständige — Erinnerungen.

Erste Begegnung aus der Ferne: 7. März 1973 Europacup der Landesmeister, Viertelfinale. Der FC Bayern München bei Ajax Amsterdam, das 1971 und 1972 den Pokal geholt hatte. Die Bayern mit Maier, Beckenbauer, Müller sind eine Klasse für sich, meint Fußball-Deutschland. Was dann in schwarz-weißen Fernsehbildern aus Amsterdam in deutsche Wohnzimmer gelangt, ist unglaublich. Schwindlig gespielte Münchner, zwei Tore von Arie Haan, eins von Arnold Mühren und zum Schluss noch eins von Johan Cruyff, der das Ajax-Ensemble dirigiert. Ajax spielt Fußball, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat — und gewinnt, logisch, den Europapokal zum dritten Mal in Folge.

Er ist da: 1974, WM in Deutschland Während sich die DFB-Elf mühsam durch die Vorrunde ackert, erst in der zweiten Finalrunde langsam besser wird und dank eines glücklichen 1:0-Sieges gegen Polen das Endspiel erreicht, sorgt Oranje für die positiven Schlagzeilen. Angeführt vom genialen Cruyff tanzen sich die Holländer durch die Reihen der Gegner, lediglich die Schweden schaffen ein 0:0. Mit fünf Siegen und einem Torverhältnis von 14:1 stürmen König Johan und seine edlen Mitstreiter ins Finale. Wie soll das deutsche Team dagegenhalten können?

Das Endspiel: Anstoß Holland. 17 Mal spielen sich die Kicker von Trainer Rinus Michels den Ball zu, dann tritt Cruyff an, ein Sprint, ein hinterherhechelnder Berti Vogts, ein von der Seite das Bein ausfahrender Uli Hoeneß, ein Sturz, Elfmeter, Neeskens, Tor, 1:0 für Oranje, der Anfang vom Ende aller deutschen Hoffnungen? Es kommt anders und steht für die andere Seite von Johan Cruyff. Der Hang zur Arroganz wird ihm und seinen Mitspielern zum Verhängnis.

„Sie glaubten, sie hätten schon gewonnen, sie wollten uns lächerlich machen“, erzählt später Bernd Hölzenbein. Das aber stachelt die Deutschen an, sie schlagen zurück, gehen in Führung und verteidigen sie bis zum Schluss. Auch, weil Cruyff nichts mehr gelingt. Nach einer Gelben Karte wegen Meckerns beim Gang in die Halbzeitpause hat er sogar Glück, dass er nach einem gestreckten Bein gegen Sepp Maier nicht vom Platz fliegt.

Was war los mit Johan Cruyff? Die Tage vor dem Finale: „Es gehört zur Tragik des Fußballs, dass am Ende nicht immer die Schönheit siegt“, sagt Günter Netzer, 1974 nur Ersatzmann, über Johan Cruyff und die Holländer. Möglich ist, dass ein Ereignis im Hotel der Elftal in Hiltrup/Westfalen eine Rolle spielte. Es ist der 30. Juni, die Holländer haben die DDR 2:0 besiegt und feiern. Vom Sohn des Hoteliers dazu eingeladen, gesellt sich Guido H. Frick, vermeintlicher Spätzlevertreter aus Stuttgart, dazu — in Wirklichkeit ist der Mann Reporter der Stuttgarter Nachrichten. Cruyff schmust mit einer Rothaarigen, später geht es in den Hotelpool, ein „Ringelpiez mit Anfassen“, Frick traut seinen Augen nicht. Am anderen Tag berichtet er, Cruyffs Ehefrau Danny droht mit Scheidung, König Johans Konzentration gehört nicht mehr nur dem Fußball. Diese Affäre, heißt es später in Holland, habe dazu geführt, dass Cruyff kein gutes Finale gespielt habe.

FC Barcelona und die Schönheit in Perfektion: Johan Cruyff war ein genialer Spieler, aber er ist danach ein noch viel größerer Trainer. Er ist der Vater des heutigen FC Barcelona, eines Spielstils, der für Fußballästheten die Schönheit in Perfektion ist und die Gegner Bekanntschaft machen lässt mit der unerträglichen Leichtigkeit des Seins. „Johan Cruyff hat die Kathedrale gebaut“, sagt Pep Guardiola, der unter ihm spielte und Europapokalsieger wurde, „und alle nach ihm halten sie nur instand.“ Den Erfolgstrainer Guardiola gäbe es nicht ohne Cruyff — sagt Guardiola. „Johan verlieh uns Informationen, aber auch die Grammatik des Spiels. Ich wusste nichts über Fußball, und Johan gab mir alles.“

24. März 2016: Um 13.39 Uhr erreicht die Eilmeldung der Deutschen Presse-Agentur die Redaktionen: Johan Cruyff ist tot. In Gedanken schreiben wir Franz Beckenbauers Eingeständnis von 1974 auf den Grabstein von König Johan: „Ich bin Weltmeister — aber Johan war der bessere Spieler.“