2012 — der böse Albtraum in Orange
Holland zwischen Ungläubigkeit und der Erkenntnis, eine Generation sterben zu sehen.
Charkow. Joris Mathijsens Stimme klang leise, sein Blick war fast flehentlich, zusammen mit dem leicht kahlen Haarkranz auf dem Kopf gab der in die Jahre gekommene niederländische Innenverteidiger ein rührendes Bild ab.
„Hoffentlich, hoffentlich gewinnt Deutschland gegen Dänemark“, sagte Mathijsen, der lange für Hamburg gespielt hatte, den deutschen Berichterstattern. „Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen können, gegen Portugal mehrere Tore zu machen.“
Die Niederlande sind in eine einzige Rechnerei verfallen, ein Zustand, der diese Mannschaft auffrisst. Sie wollte doch endlich wieder einen Titel gewinnen. „Ich hätte nie gedacht, dass wir nach zwei Spielen keinen Punkt haben“, sagte Rafael van der Vaart, der wieder erst nach der Pause gekommen war, wo doch die Volksseele danach giert, dass er den 35-jährigen Mark van Bommel ablöst. Der kauerte an der Seitenlinie, ausgewechselt nach 45 Minuten vom Schwiegervater, dem Bondscoach Bert van Marwijk.
Van Bommel verteilte Getränke in der Schlussphase, in der die Niederlande gegen den Erzrivalen nach van Persies Anschlusstreffer kurz auflebten — und dann vor der eigenen Fitness kapitulieren mussten. Arjen Robben, der meist vergeblich versucht hatte, an Teamkollege Philipp Lahm vorbei zu kommen, gesellte sich nach seiner Auswechslung mit einer blutenden Kopfwunde zu seinem Kapitän, verbunden im Frust.
Und der Trainer nimmt Abstand. „Von unserer Flügelzange Affelay und Robben kam nichts“, sagte van Marwijk, der selbst in der Kritik steht. Auch in der Abwehr habe man es nicht gut gemacht. „Heitinga, Mathijsen, van Bommel und de Jong haben zusammen 402 Länderspiele, aber bei den Gegentoren standen sie wie Zuschauer da“, urteilte das „Algemeen Dagblad“.
Noch vor zwei Jahren waren diese Niederländer im Finale von Johannesburg nur knapp an Spanien in der Verlängerung gescheitert, jetzt droht das erste Vorrunden-Aus bei einer Europameisterschaft seit 1980. „Wir haben alles gegeben, aber manchmal sieht es so aus, als stimme unsere Organisation nicht“, sagte Robben.
„Im Vergleich zu 2010 hat sich gar nicht viel geändert bei uns“, befand derweil Mathijsen. „Aber damals haben wir unsere Chancen genutzt. Und wenn du führst, spielst du anders.“ Es war ein faires Spiel zweier Teams, die längst alte Schablonen von mit Aufwand gepflegter Rivalität zur Seite gelegt haben.
Bastian Schweinsteiger tröstete seinen ehemaligen Mitspieler Mark van Bommel, der wie ein Relikt wirkt, der Deutsche versprach gar einen Sieg gegen die Dänen. Für van Bommel, der nach der EM zum PSV Eindhoven zurückkehren wird, ist dies eine letzte Hoffnung. 2014, bei der WM in Brasilien, wird er kaum mehr dabei sein, wahrscheinlich braucht es diesen Schluss im Untergang für eine Generation von guten Fußballern, die ihren Zenit überschritten hat. Und jetzt auf Deutschland hoffen muss. Bei aller neuen Nähe: Das ist wahrhaft furchtbar.