Bastian Schweinsteiger: Der Stratege ist zurück
Bastian Schweinsteiger ist angekommen auf dem Weg zum Ziel — und füllt seine Rolle im Team wieder aus.
Sopot. Bastian Schweinsteiger kniff die Augen zusammen. Sein Blick war der eines schlecht gelaunten jungen Mannes, wenig Regung, kein Lächeln. Wer sich nach „Schweini“ sehnt, der muss sich die DVD des Sommermärchens 2006 einlegen, als Sönke Wortmann Podolski und Schweinsteiger während der WM im eigenen Land filmisch durch die fußballerische Pubertät geführt hatte. Hier ein Spruch, dort ein Streich, die Haare hellblond gefärbt, die Haut noch in Mitleidenschaft gezogen, immer lächelnd. Das sucht man in dieser Kombination heute in der jüngsten, so talentierten Spielergeneration durchaus schon vergeblich, aber bei Bastian Schweinsteiger findet man das gar nicht mehr.
Gestern, als der 27-Jährige nach dem 2:1-Sieg gegen die Niederlande etwas zu sagen haben sollte, hat er nur einen einzigen, echten Spaß gemacht, und der ging so: Er, Schweinsteiger, habe sich gar nicht recht freuen können über seinen Pass zum 1:0 auf Torschütze Mario Gomez. „Ich war so geschockt, dass Mario den Ball so mitgenommen hat, wie ich das noch nie gesehen hatte“, sagte Schweinsteiger zur kunstvollen Drehung des Bayern-Stürmers. Und dann lächelte er doch. „Wenn er das noch öfter macht, müssen wir aufpassen, dass er nicht irgendwann nach Brasilien geht.“
Das ist ein leicht schiefes Bild, weil niemand als Fußballer von Weltklasse nach Brasilien wechselt und kein deutscher Nationalspieler ein brasilianischer werden kann, in diesem Fall aber zählte Schweinsteigers Geste: Seht her, ich kann noch witzig.
Schweinsteiger und Gomez. Das ist seit dem Spiel im Glutofen von Charkow eine besondere Verbindung, der eine legte zweimal vor, der andere vollendete zweimal, und Trainer Löw verriet später, dass das durchaus Plan gewesen sei. „Wir wussten, dass die Niederländer in den Nahtstellen, in den Zwischenräumen ihrer Abwehr Probleme haben“, hatte Löw gesagt. Wenn dieser Plan tatsächlich so existierte, war Schweinsteiger in der Umsetzung genial. Das ist ja auch sein Ding. Den Fußball verstehen, immer besser, von großen Trainern lernen, Pläne umsetzen.
Er spricht vom „perfekten Defensivspiel des FC Barcelona“ und vermittelt, was jeder sieht: Dass das verzückende, variabel offensive deutsche Spiel der WM 2010 jetzt, bei der EM 2012, ein variables Ganzes ist — mit Schwerpunkt Defensive. Eine Weiterentwicklung? Ja, findet Schweinsteiger. „Besonders bei einem Turnier ist die Defensive ganz wichtig.“
Nichts ist älter als diese Weisheit, aber sie kann helfen, Schweinsteiger zum Ziel zu führen. Er will diesen EM-Titel wie sonst vielleicht nur Philipp Lahm, und es verbindet die beiden Münchener eine schmerzvolle Erfahrung in Sachen Verhältnis zwischen Offensiv-Aufwand und schnödem Erfolg, die vier Wochen her ist. Als Bayern Chelsea London dominierte und den Engländern doch den Titel überließ.
Schweinsteiger spricht nur selten von diesem Spiel, aber dann hatte ihn für einen kurzen Moment doch noch die Vergangenheit eingeholt. Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch hatte in Charkow die Nähe Schweinsteigers gesucht, es fielen einige Worte, nicht mehr. „Ich habe ihm gratuliert“, sagte Schweinsteiger. Und sein Lächeln gefror wieder. Es soll der letzte Glückwunsch sein, der nicht ihn selbst betrifft. Auf dem Weg dorthin ist er angekommen. Eine bessere Nachricht gibt es nicht.