Die Grande Nation und der Debütant Island

Saint-Denis (dpa) - Island will nach dem emotionalen Höhepunkt gegen England die Zugabe. Für Frankreich soll es eigentlich nur das nächste Etappenziel auf der Tour zum Titel sein.

Die Grande Nation und der Debütant Island
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Größer könnten die Gegensätze in vielerlei Hinsicht kaum sein: Die Grande Nation tritt vor heimischem Publikum am Sonntag in Saint-Denis zum EM-Viertelfinale gegen die besten von gerade einmal 100 Profi-Fußballern aus Island an. Ein Überblick über einige der Unterschiede:

Das sind die größten Erfolge von ...

FRANKREICH: Die Équipe tricolore wurde einmal Weltmeister. 1998 holten die Franzosen im eigenen Land angeführt vom damaligen Kapitän Didier Deschamps und vor allem dem begnadeten Zinedine Zidane den Titel. Bereits 1984 hatten die Franzosen mit Michel Platini die Heim-EM gewonnen. 2000 wurde Frankreich erneut Europameister. 2006 scheiterte die Mannschaft bei der WM im Finale im Elfmeterschießen an Italien.

ISLAND: Allein die erstmalige Teilnahme an dieser EM-Endrunde in Frankreich war zunächst der größte Erfolg in der Fußball-Geschichte der kleinen Insel. Den Einzug in das Achtelfinale hatten die Isländer als Ziel für dieses Turnier ausgegeben. Der Sieg über das in Island verehrte England versetzte endgültig eine ganze Nation in Euphorie.

Das würde ein Aus im Viertelfinale bedeuten für ...

FRANKREICH: Die trotz einiger Ausfälle immer noch hochkarätige Mannschaft würde als gescheitert gelten. Das Mindestziel heißt offiziell Halbfinale. Was zählt, ist für alle aber der Titel. Immerhin gibt es im jetzigen Kader viele junge Spieler wie Bayerns Kingsley Coman, denen die Zukunft gehört.

ISLAND: Die Spieler sind jetzt schon Helden in der Heimat - daran würde auch eine Niederlage überhaupt nichts ändern. Dies ist der große Vorteil: Der Außenseiter kann nur gewinnen. Der Kern des Teams würde auch die WM-Qualifikation in Angriff nehmen.

Das macht nach der EM der Trainer von ...

FRANKREICH: Trainer Didier Deschamps müsste sich nach den System- und Personalwechseln während der EM bei einem Aus gegen Außenseiter Island noch mehr Kritik anhören. Ob es Sinn machen würde, den bis zur WM 2018 in Russland gültigen Vertrag zu erfüllen, müsste sich zeigen. Er hatte schon vor der EM angekündigt, alles nach dem Titelkämpfen in Ruhe zu analysieren.

ISLAND: Es ist schon alles geklärt. Lars Lagerbäck, 67 Jahre alter Schwede, hört nach knapp fünf Jahren auf und übergibt das zurzeit noch zu zweit geführte Amt seinem Trainer-Partner Heimir Hallgrímsson.

Das zeichnet die Mannschaft aus von ...

FRANKREICH: Eine Offensive mit grandiosen Einzelspielern, die ein Spiel entscheiden können, wie der zweimalige Torschütze Dimitri Payet oder Antoine Griezmann, der es in vier Spielen auf drei Tore brachte. Eine Abwehr, die als unsicher galt, aber in vier Partien noch kein Tor aus dem Spiel heraus zuließ. Beide Gegentreffer waren Elfmeter. Zusammen bewiesen sie auch Willensstärke, gewannen zwei Spiele in einer der Schlussphase und drehten einen frühen 0:1-Rückstand gegen Irland.

ISLAND: Größte Stärke ist die mannschaftliche Geschlossenheit des Teams, das keine großen Stars hat. „Wir geben immer hundert Prozent und sind immer zu hundert Prozent Profis“, ist das wichtigste Credo, das Lagerbäck in seinen Richtlinien immer wieder predigt. Dazu kommt ein 4-4-2-System, das bislang alle Teams vor Probleme stellte. Zudem sorgt Kapitän Aron Gunnarsson mit seinen Einwürfen, die schon zu zwei Toren führten, immer wieder für Gefahr.

Das sind größten Probleme von ...

FRANKREICH: Die Mannschaft braucht eine Halbzeit, um auf Spieltemperatur zu kommen. Am dramatischsten zeigte sich das gegen Irland. Trainer Deschamps wechselt zudem immer wieder das System von 4-3-3 auf 4-3-2-1. Souverän oder wirklich titelreif über 90 Minuten war noch kein Auftritt der Franzosen. Sie wirken noch immer oft gehemmt.

ISLAND: Was passiert, wenn die defensiv eingestellten Isländer den Ball bekommen? Diese Frage bewegt das Trainerteam noch mehr als die Angriffsstärke des Gegners. Der geringste Wert beim Ballbesitz aller EM-Teilnehmer und eine sehr niedrige Passquote zeugen von wenig Offensivgeist, Tore aus dem normalen Spielaufbau sind absolute Mangelware.

Das sagen vor dem Duell die Spieler von ...

FRANKREICH: „Es ist eine Mannschaft, die alles für ihr Land gibt.“ (Patrice Evra). „Viele haben Island unterschätzt. Wir unterschätzen Island nicht, es ist bislang eine der besten Mannschaften.“ (Bacary Sagna)

ISLAND: „Du willst für dein Land gewinnen, für deine Freunde. Wir sind Wikinger. Wir haben vor niemandem Angst. Wir haben England geschlagen, also können wir auch Frankreich schlagen.“ (Ragnar Sigurdsson)