Italien will „Everest“ Deutschland bezwingen

Bordeaux (dpa) - Die Favoriten-Rolle schieben Antonio Conte und Co. ganz weit von sich. „Deutschland ist die beste Mannschaft, für mich die Nummer eins der Welt“, sagte Italiens Fußball-Nationaltrainer vor dem EM-Viertelfinale gegen die DFB-Auswahl am Samstag in Bordeaux (21.00 Uhr).

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Die Azzurri nehmen die Rolle des Außenseiters gerne an - immerhin gelang so bereits der Coup im Achtelfinale gegen Titelverteidiger Spanien, und der Druck lastet damit auf dem Gegner. Kapitän Gianluigi Buffon sagte: „Deutschland macht sehr viel Angst.“

Doch vor allem die Vergangenheit macht dem viermaligen Weltmeister Mut - und so konnten sich die Azzurri den einen oder anderen Griff in die Psycho-Trickkiste nicht verkneifen. Insbesondere italienische Zeitungen erinnerten genüsslich an die bislang acht sieglosen Spiele Deutschlands bei Europa- und Weltmeisterschaften gegen Italien. „Wir sind der Alptraum der Deutschen“, tönte die Zeitung „Tuttosport“.

Der Ex-Dortmunder Ciro Immobile stichelte: „Wir haben sie so oft geschlagen, dass sie jetzt vorpreschen. Auf dem Platz wird sich zeigen, wer der Stärkste ist und wer gewinnt.“ Alessandro Florenzi ergänzte: „Bei einigen Spielen braucht man keine Motivation, sie sprechen für sich, das ist auch bei Italien gegen Deutschland so.“ Und Buffon erklärte, die Situation erinnere ihn an den 2:1-Sieg im EM-Halbfinale 2012. „Auch damals waren wir nicht der Favorit und brauchten eine besondere Leistung für das Finale“, sagte er.

Denn bei allem Understatement: Natürlich wollen die Italiener gegen Deutschland gewinnen, und natürlich rechnet sich das Team gegen den Weltmeister etwas aus. „Dieses Deutschland ist wie der Mount Everest, aber wir sind bereit, ihn zu besteigen“, versprach Florenzi. Mittelfeldspieler Mattia De Sciglio kündigte an: „Sicherlich werden wir einen Weg finden, um sie in Schwierigkeiten zu bringen.“ Und Conte ergänzte: „Niemand startet geschlagen.“ Manchmal könne man auch zu Beginn unüberwindbar scheinende Hindernisse überwinden.

Die Partie gegen Deutschland soll für die bei Turnieren meist starken Azzurri nur eine Zwischenstation auf dem Weg ins Finale nach Paris sein. „Unser Turnier beginnt jetzt“, kündigte Verteidiger Giorgio Chiellini selbstbewusst an. Und auch Conte gab sich optimistisch. „Ich glaube, wir können etwas Besonderes erreichen“, sagte er.

Dabei plagen Conte vor allem im Mittelfeld arge Personalsorgen. Nach den Ausfällen von Claudio Marchisio und Marco Verratti vor der EM ist nun auch noch Thiago Motta gesperrt. Daniele De Rossi wird ebenso wie Antonio Candreva wohl ausfallen - Conte muss daher improvisieren. Der noch nicht überzeugende Stefano Sturaro könnte eine Chance von Beginn an bekommen, Marco Parolo müsste dann in die Zentrale rücken. „Ich habe sehr großes Vertrauen in meinen gesamten Kader“, sagte Conte.

Doch davon lassen sich die Azzurri nicht beirren. „Entschuldigungen sind etwas für Verlierer. Wir müssen aus diesen Sachen Kraft ziehen und es auf den Platz bringen“, forderte Florenzi. Über die elf mit einer Gelben Karte vorbelasteten Spieler, die in einem möglichen Halbfinale bei einer weiteren Verwarnung fehlen könnten, will sich ebenfalls niemand Gedanken machen. „Wir wissen, wenn die Dinge schwierig werden, können wir antworten“, sagte Trainer Conte.

Bislang überzeugten die Azzurri bei der EM vor allem mit brillanter Taktik, großer Geschlossenheit und einer kompromisslosen Abwehr - drei Faktoren, auf die es auch gegen Deutschland ankommen wird. Conte bereitet sein Team seit Tagen mit intensiven Trainingseinheiten und Videoschulungen vor, auch aus dem 1:4 im Testspiel im März hat er seine Lehren gezogen. „Das haben wir nicht vergessen. Sie sind die beste Mannschaft dieses Wettbewerbs“, urteilte der Nationalcoach.

Doch zumindest in der Heimat kennt der Optimismus nach der starken Vorstellung gegen Spanien kaum Grenzen. „Bissigkeit, Ausdauer, Schnelligkeit: Conte hat eine bestialische Mannschaft erschaffen“, lobte „Tuttosport“. Buffon erklärte mit einem Grinsen: „Deutschland ist auf dem Papier stärker als wir, das ist die Wahrheit. Aber manchmal gibt es auf dem Platz eben auch andere Antworten.“