Ein Schalker für Russland - Neustädter vor EM-Debüt

Croissy-sur-Seine/Marseille (dpa) - Im Training musste sich Roman Neustädter noch die Scherze seiner neuen Teamkollegen gefallen lassen - bei der EM könnte es für den Schalker Bundesliga-Profi jetzt früher als gedacht ernst werden.

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Knapp zwei Wochen nach dem Erhalt seines Passes steht der 28-Jährige am Samstag (21.00 Uhr/ZDF) gegen England in Marseille vor dem Pflichtspiel-Debüt für die russische Fußball-Nationalmannschaft. Nach der jüngsten Verletztenmisere bei den Russen scheint selbst ein Kaltstart in der Anfangself möglich.

„Ich versuche, mich auf und neben dem Platz von Tag zu Tag besser ins Team zu integrieren“, schrieb Neustädter in einer Internet-Kolumne. „Die Mannschaft spielt schon lange zusammen und ist eingespielt, aber ich warte auf meine Chance, um in die Stammformation zu kommen.“ Weil die Mittelfeldstrategen Igor Denissow und Alan Dsagojew fehlen sowie Denis Gluschakow und Dmitri Torbinski in den vergangenen Tagen angeschlagen waren, bietet sich diese Chance möglicherweise schon jetzt gegen die favorisierten Engländer um Kapitän Wayne Rooney.

Russlands Nationaltrainer Leonid Sluzki schätzt an Neustädter dessen variable Einsatzmöglichkeiten und ließ ihn im Training im Parc Omnisports du Chemin de Ronde im Pariser Vorort Croissy-sur-Seine im defensiven Mittelfeld spielen. Immer wieder rief der Nachfolger des Italieners Fabio Capello den Neu-Russen mit der Trikotnummer 5 zu sich. Die russische Tageszeitung „Sport-Express“ orakelte bereits, dass Neustädter als Ersatz für Denissow von Beginn an spielen könnte: „Vielleicht hat Coach Leonid Sluzki deshalb dem "Deutschen" in den Trainingspausen die Taktik besonders genau erklärt.“

Neustädter wurde in der heutigen Ukraine geboren, sein Vater ist Ukrainer, die Mutter Russin. Er kam 2012 und 2013 lediglich in zwei Freundschaftsspielen für Deutschland zum Einsatz - und kann daher laut Regelwerk des Weltverbandes FIFA für Russland spielen. „Noch vor einem halben Jahr habe ich nicht gedacht, dass ich hier sein würde“, sagte Neustädter. Doch nach langem bürokratischen Prozedere teilte der Kreml am 25. Mai schließlich mit, dass Neustädter von Präsident Wladimir Putin zum russischen Staatsbürger ernannt worden sei. Fünf Tage später veröffentlichte er stolz sein Bild mit dem neuen Pass.

Seit Montag bereitet sich Neustädter nun mit dem zweitältesten Team des Turniers auf den EM-Ernstfall vor. Und musste sich immer mal wieder im Training den Ball aus zwei Metern Entfernung halbhoch ans Knie kicken lassen mit der Begründung: „Das ist Russland, hier werden die Pässe nicht so sauber gespielt wie in Deutschland.“