Grindel: „Das Turnier ist schon jetzt erfolgreich“
Évian-les-Bains (dpa) - Verbandschef Reinhard Grindel geht zuversichtlich ins EM-Viertelfinale gegen Italien. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur sagt er warum: Bundestrainer Löw habe immer eine besondere Lösung parat und ein „unglaubliches Auge“.
Allerdings beinhalte das Duell mit Italien auch „eine besondere Konstellation“.
Ihr Vorgänger Wolfgang Niersbach hat vor dem EM-Halbfinale vor vier Jahren gesagt, jetzt sind die Italiener fällig. Der Ausgang ist bekannt. Mit welcher Kampfansage gehen Sie in die Neuauflage?
Grindel: Jede Serie geht irgendwann einmal zu Ende. Unsere Mannschaft hat sich von Spiel zu Spiel in diesem Turnier gesteigert. Wir haben die spielerische Qualität, Italien zu besiegen und sind auch als Mannschaft überzeugend aufgetreten in Frankreich.
Also nur Zuversicht?
Grindel: Man spürt beim Training, dass wie konzentriert und fokussiert sind. Joachim Löw wird sich mit seinem Stab mit großer Akribie auf dieses Spiel vorbereiten. Er hat in diesem Turnier ja bereits eindrucksvoll bewiesen, dass er auf alle Gegner eine sehr gute Antwort findet.
Wie beeinflusst der Ausgang des Italien-Spiels ihre Beurteilung der EM-Leistung des DFB-Teams? Die Öffentlichkeit erwartet ja immer mehr als ein Viertelfinal-Aus von der deutschen Mannschaft.
Grindel: Wir sind zuletzt immer unter den letzten Vier gewesen. Aber gegen Italien zu spielen, ist eine besondere Konstellation. Dieses Turnier ist schon jetzt erfolgreich, weil wir souverän in das Viertelfinale gekommen sind und gezeigt haben, dass wir hohe spielerische Qualität haben. Manchmal können Kleinigkeiten und fehlendes Glück ein Spiel entscheiden.
Jetzt sind Sie näher dran als 2014 in Brasilien. Was macht die Führungsqualitäten von Joachim Löw aus?
Grindel: Er hat auf jeden Gegner in diesem Turnier die richtige Antwort gefunden. Er trainiert mit großer Ruhe, aber auch sehr entschlossen die Mannschaft. Er hat einen großen Erfahrungsschatz, aber auch eine Gelassenheit, die sich aus seinen Erfolgen ergibt. Ich erlebe, dass er sich mit seinem Stab intensiv austauscht und immer wieder einzelne Dinge entwickelt. Er arbeitet gerne im Team und ist alles andere als beratungsresistent.
Seine Assistenten sprachen schon davon, dass er als eine Art Supervisor über allem schwebt. Wie erleben Sie das?
Grindel: Er hat ein unglaubliches Auge für einzelne Spieler und ihre Trainingsleistungen. Das hat er mit Julian Draxler gegen die Slowakei oder mit der Hereinnahme von Joshua Kimmich auch hier bewiesen. Es zeichnet einen Trainer aus, die richtigen wichtigen Entscheidungen zu treffen.
Wie froh sind Sie als Präsident, dass der Fan in Deutschland wieder über den Fußball spricht, wenn es um den DFB geht, und nicht mehr von Krisen und der Aufarbeitung des WM-Sommermärchens 2006?
Grindel: Ich bin nicht nur froh, weil wir erfolgreich sind, sondern weil das auch bis an die Basis ausstrahlt. Viele Kinder und Jugendliche sind begeistert von unseren Nationalspielern und möchten ihnen nacheifern, das spüren wir dann auch bei den Mitgliederzahlen in unseren Vereinen. Wenn positiv über Fußball gesprochen wird, ist das aber auch für die Ehrenamtlichen in den kleinen Vereinen hilfreich. Für die Einheit im Fußball ist es wichtig, dass sich die Basis mit der Arbeit und den Erfolgen an der Spitze identifizieren kann.
Und Sie können weiter die Affäre aufarbeiten?
Grindel:Wir haben in einer tiefgehenden Art und Weise diese Affäre aufgeklärt und getan, was man als gemeinnütziger Verband tun kann. Wir sind keine Staatsanwaltschaft, die über andere Möglichkeiten verfügt. Sportlicher Erfolg gibt uns Rückenwind für unsere weitere Verbandsarbeit im Alltag, wenn Sie beispielsweise an die Situation des Ehrenamts oder die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund denken.
Für den sportlichen Erfolg arbeitet das Team oft in Ruhe und Abgeschlossenheit. Wie eng kann da noch der Kontakt zum Fan sein?
Grindel: Wir haben durch die im Vorfeld umstrittene Kartenvergabe an unseren Fanclub Nationalmannschaft nicht nur einen Weg gefunden, für mehr Sicherheit in den Stadien zu sorgen. Langjährige Begleiter können die Mannschaft dadurch auch bei dieser EM sehen. Die Stimmung in den Stadien ist toll. Bei den TV-Quoten erreichen wir Größenordnungen, die es vorher bei EM-Gruppenspielen nicht gegeben hat. Das alles sind Indikatoren, dass das Band zwischen Mannschaft und Fans sehr eng ist.
Deutschland will 2024 wieder eine EM ausrichten. Haben Sie schon Rückmeldung bekommen von internationalen Verbandskollegen, wie schwierig es ist, so ein Mammutturnier überhaupt noch zu stemmen?
Grindel: Ich gehe davon aus, dass es bei 24 Teilnehmern bleibt. Weil für viele Verbände und deren Nationalmannschaften alleine das Dabeisein ein solche Wirkung entfaltet, dass man davon nicht wieder abrücken wird. Wenn Sie nur an Island denken oder an Ungarn. Viele meiner Kollegen aus Europa wissen um unsere Referenzen. Wir brauchen kein neues Stadion zu bauen, wir haben einen funktionierenden Nahverkehr und Flughäfen, ausreichende Hotelkapazitäten. Wir brauchen keinen Hektar neu zu versiegeln, hätten auch ökologisch sehr gute Rahmenbedingungen. Daher sind viele der Meinung, dass wir innerhalb kurzer Zeit so eine EURO stemmen könnten.
Wie stark ist die Konkurrenz?
Grindel: Ich denke, wir haben gute Chancen, 2018 den Zuschlag für 2024 zu erhalten. Ich verkenne aber auch nicht, dass unsere skandinavischen Freunde aus Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden möglicherweise ernstzunehmende Ambitionen haben. Wobei die endgültige Entscheidung, ob sie sich bewerben, noch nicht gefallen ist.
Was gefällt ihnen bei der aktuellen EM in Frankreich besonders und was nicht?
Grindel: Die Stadioninfrastruktur ist in Ordnung. Die Begeisterung in der Stadien, die alle ausverkauft sind, ist bemerkenswert. Manche Zufahrtswege und die Hotelsituation sind nicht ganz optimal. Und die Spielorthotels sind zu teuer. Hier müssen die Verbände dafür sorgen, dass wir ein vernünftiges Maß finden. Es kann nicht sein, dass die Spielorthotels bis zum Finale genauso viel kosten wie der gesamte Aufenthalt in Évian. Das ist nicht angemessen.
Oliver Bierhoff ist die treibende Kraft beim Aufbau der DFB-Akademie. Wird er zukünftig trotzdem parallel als Manager der Nationalmannschaft weiterarbeiten können?
Grindel: Ich gehe davon aus, dass er bis mindestens 2020 beides miteinander vereinbaren kann, alles Weitere wird sich dann zeigen. Durch die rechtliche Auseinandersetzung der Stadt Frankfurt mit den bisherigen Nutzern des Geländes sind wir ja auch noch nicht unmittelbar in der Bauphase. Die Planungen haben jetzt einen längeren Vorlauf. Deshalb ist auch die zeitliche Belastung für ihn überschaubar.
Sie sind noch nicht allzulange DFB-Präsident. Wie viel Freude haben Sie an Ihren Job?
Grindel: Große Freude. Ich habe ja in meiner Zeit als Schatzmeister schon genau beobachten können, was die Arbeit eines DFB-Präsidenten ausmacht. Insofern hat mich vieles nicht so schrecklich überrascht.
Fehlt Ihnen die Politik?
Grindel: Nein.
Und wann erwarten Sie Angela Merkel bei der EM?
Grindel: Nicht zuletzt durch die Brexit-Entscheidung in Großbritannien haben die politischen Fragen für sie das Thema Europameisterschaft zweifelsohne überlagert. Insofern habe ich volles Verständnis dafür, dass sie bisher nicht zu unseren Spielen gekommen ist. Ob sie es zum Finale, so wir es erreichen, einrichten kann, wird sie uns sicher rechtzeitig mitteilen.
ZUR PERSON: Reinhard Grindel, 1961 geboren in Hamburg, ist seit April dieses Jahres Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften arbeitete er als Journalist. Grindel war von 2002 bis 2016 für die CDU Mitglied des Deutschen Bundestages. Nach der Wahl zum DFB-Chef legte er im Juni 2016 sein Mandat nieder.