Harter Aufprall für Überflieger Löw - Entzaubert

Warschau (dpa) - Joachim Löw stemmte die Hände in die Hüften. Regungslos verharrte er nach dem Schlusspfiff am Spielfeldrand. Dann steckte der Bundestrainer seine Hände in die Hosentaschen, der Blick blieb starr und fassungslos.

Schließlich drehte er nach einem kurzen Handschlag mit Sami Khedira ab und ließ seine geschlagene Mannschaft alleine auf dem Rasen zurück. Das abrupte Ende seiner Titelmission setzte auch dem 52 Jahre alten Chefcoach mehr zu, als er in ersten Kommentaren nach dem bitteren 1:2-K.o. gegen Italien zugeben mochte. Der Aufprall für den Überflieger war hart und schmerzhaft.

„Das kommt in der Aufarbeitung, dass man sich Gedanken macht, was anders hätte laufen können“, sagte Löw nach einer sichtbar kurzen und wohl auch unruhigen Nacht auf dem Rückflug am Freitag von Warschau nach Frankfurt. Und anders als unmittelbar nach dem Spiel gestand er Fehleinschätzungen teilweise ein. „Klar wird jetzt viel über die Aufstellung diskutiert. Diese Verantwortung übernehme ich auch.“

Mit seinen Umstellungen hatte der Taktik-Tüftler womöglich einen Tick zu viel gewollt. Klose, Reus, Schürrle nahm er raus, dafür setzte er auf einen Überraschungsplan mit Toni Kroos als zweitem Zehner neben Mesut Özil. „Man kann die Taktik vorschieben, aber am Ende stehen wir auf dem Platz und müssen das regeln“, sagte Mario Gomez. Keiner der Spieler mochte Kritik am Matchplan äußern.

Wie ein Magier hatte Löw alles richtig gemacht bei den Siegen zuvor, stets die richtige Taktik gefunden und auch das richtige Personal ausgewählt. Gegen die ausgebufften Italiener aber verzockte sich der Stratege. Die Korrekturen zur Pause halfen nicht mehr, weil das Anschlusstor von Özil per Handelfmeter zu spät fiel.

Was blieb war die Flucht in die Gesamtbilanz nach 50 Tagen, in denen gerade auch Löw seit dem Start der Vorbereitung am 11. Mai fast rund um die Uhr für die Krönung seiner jahrelangen Aufbauarbeit alles gegeben hatte. „Wir haben vieles gut gemacht. Wir sollten auch grundsätzlich nicht zu viel infrage stellen“, forderte er.

„Jogi, du hast einen Klasse-Job gemacht“, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach in seiner Ansprache ans Team. Es klang in dieser bitteren Nacht in Warschau, nach dieser irritierenden Niederlage, die auch eine schwere des Bundestrainers war, fast deplatziert. Richtig lag der Verbandschef allerdings beim Ausblick in die Zukunft: „Wir sind unheimlich froh, dich als Bundestrainer zu haben.“ Denn Löw hat natürlich weiteres Vertrauen verdient.

Mit 2,22 Punkten im Schnitt bleibt er der punktbeste aller zehn Bundestrainer. Zur Unsterblichkeit aber gehört bei einer großen Fußball-Nation ein Titelgewinn. „Ja, es ist bitter, auch ärgerlich“, dass der Plan fehlschlug, gestand Teammanager Oliver Bierhoff. „Man plant so etwas zwei Jahre, denkt Sich tausend Dinge aus, man plant das Detail - und dann erscheint es in so einem Moment nutzlos“, sagte Bierhoff: „Deutschland hat immer den Anspruch zu gewinnen.“

Zweimal war für Löw und sein junges Team Spanien die Endstation, im Finale der EM 2008 und im Halbfinale der WM 2010, jetzt kam das Stoppschild wieder vor dem letzten Schritt. Löw bat um Geduld, um Realitätssinn: „Man kann den Titel jetzt nicht immer herbeireden“, sagte er, nachdem auch intern monatelang nur davon gesprochen worden war. „Spanien hat lange darauf gewartet“, betonte Löw mit Blick auf die lange Durststrecke des Welt- und Europameisters, der am Sonntag im Finale gegen Italien seine Regentschaft verlängern kann.

„Bei den letzten vier Mannschaften ist die Luft ganz dünn“, betonte Löw. Auch ihm, der den fast 6000 Meter hohen Kilimandscharo erklommen hat, fehlte in Polen und der Ukraine noch die letzte Titelreife. Aufgeben wird er nicht, sein Vertrag läuft bis zur WM 2014. „Wenn man in der Vorrunde ausscheidet, wird gefragt, was wird dann?“, entgegnete er verwundert auf die Frage, ob er beim nächsten Länderspiel am 15. August in Frankfurt gegen Argentinien wieder auf der Bank sitzen werde. Am Weitermachen ließ er keinen Zweifel.

Der Freiburger wird erstmal abtauchen. „Zur Ruhe kommen ist ganz gut. Man braucht einige Tage Abstand, um die Dinge einzuordnen“, sagte er vor der Landung in Deutschland. Schon bald werden neue Ziele kommen, auch wenn Löw nach dem Italien-K.o. noch nicht an die nächste Titelchance denken wollte: „Brasilien ist ein ganzes Stück weg.“