„Kanu believe it?“ - Nächstes Kapitel der Wales-Story

Lille (dpa) - Sogar das Durcheinander in der britischen Politik rückt dieses walisische Fußball-Märchen in den Hintergrund.

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„Begeisternde Leistung, begeisterndes Ergebnis“, twitterte der vom Brexit-Votum geplagte Premierminister David Cameron in der Nacht zum Samstag. „Leidenschaft und Stolz der Waliser und ihrer Fans waren unglaublich.“

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Wie er denn die warmen Worte von höchster Stelle bewerte, wurde der walisische Flügelspieler Neil Taylor spät nach dem sensationellen 3:1 (1:1) im EM-Viertelfinale gegen Belgien gefragt. Welcher Premierminister denn gratuliert habe, fragte der verdutzt. „Cameron? Ach so“, lachte Taylor. „Ich dachte, der wäre schon weg.“

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Taylor, Gareth Bale und Co. schienen vom Lachen, Tanzen und Feiern auf dem Rasen des Stade Pierre Mauroy noch ganz berauscht. Gemeinsam mit Teilen des Trainerteams hatten sie vor der Fankurve ein Herz gebildet, Schulter an Schulter hüpften sie dort, ihre außer Kontrolle geratenen Fans hüpften mit.

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„Drei Millionen Leute hier und in unserer Heimat drehen völlig durch“, sagte Wales-Trainer Chris Coleman. Ob er denn nun auch daran denke, den EM-Titel zu gewinnen? „Ich denke nie darüber nach“, antwortete er ernst. „Ich denke nur an die nächste Herausforderung, und das ist Portugal.“ Am kommenden Mittwochabend in Lyon.

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Die Szenen nach dem Spiel hatten auf bizarre Art und Weise die Strahlkraft dieses Sports zusammengefasst. Die Waliser, deren Landsleute mehrheitlich für den EU-Austritt gestimmt hatten, haben mit dem Einzug ins EM-Halbfinale Fußball-Geschichte geschrieben. Eine Leistung, die ein anderes und viel einschneidenderes Ereignis selbst in höchsten britischen Regierungskreisen für wenige Minuten weit weg erschienen ließ.

„Wir sind eine Gruppe von Freunden und so unfassbar stolz, was wir für unsere Nation tun könnten“, sagte Torschütze Hal Robson-Kanu. „Kanu believe it?“, schrieb das britische Boulevardblatt „Sun“ in Anspielung auf seinen Nachnamen und die unglaubliche Erfolgsstory.

Rotzfrech hatte Robson-Kanu vor seinem Tor zum 2:1 die komplette belgische Abwehr genarrt. Mit einer geschickten Körpertäuschung ließ er erst Thomas Meunier und dann zwei weitere Verteidiger ins Leere laufen. Die Ironie: Kanu ist seit Freitag arbeitslos. In der vergangenen Saison hatte er noch für den FC Reading in der zweiten englischen Liga gespielt, sein Vertrag lief am Vorabend des Viertelfinal-Coups aus.

„Ich weiß, dass mein Team gut genug ist, um gegen jeden zu bestehen“, sagte Coleman. Es war die erste leise Warnung an die Portugiesen. Die hätten sich vor dem Spiel sicher gewünscht, dass es nicht Belgien werde, sagte Außenbahnspieler Taylor. „Nach diesem Spiel denken sie sicher anders.“

Dabei waren er und sein Team von den hoch eingeschätzten Belgiern anfangs überrumpelt worden. Die in der Offensive mit großer individueller Klasse ausgestatteten „Roten Teufel“ stießen immer wieder mit hoher Geschwindigkeit in die Spitze, Konsequenz war der herrliche Führungstreffer von Radja Nainggolan (13.). „Als sie getroffen haben, gingen unsere schlimmsten Ängste in Erfüllung“, sagte Coleman. Doch dann kam der Bruch.

„Wir haben uns danach, warum auch immer, plötzlich 50 Meter fallen lassen. Ein großer Fehler“, gab Belgiens Coach Marc Wilmots zu. Wales bestrafte das gnadenlos. Kapitän Ashley Williams (31.) köpfte nach einer Ecke den Ausgleich, Robson-Kanu und kurz vor Schluss der eingewechselte Sam Vokes (86.) sorgten für den Rest.