Löw tendiert zum Abwehrumbau „light“ - Götze EM-klar

Évian-les Bains (dpa) - Kein Jammern, kein Wehklagen - Joachim Löw richtet nach dem nächsten Ausfall einer wichtigen EM-Kraft den Blick entschlossen nach vorne.

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Auch nach der schweren Knieverletzung von Abwehrspieler Antonio Rüdiger geht Fußball-Weltmeister Deutschland mit den höchsten Ambitionen in die Europameisterschaft und das erste Spiel gegen die Ukraine. „Wir werden jetzt nicht jammern, sondern das Beste aus unseren Möglichkeiten machen“, verkündete der Bundestrainer am Mittwoch in Évian. Kämpferisch fügte der Weltmeistercoach hinzu: „Deswegen schrauben wir unsere Zielsetzung nicht nach unten.“

Nach dem folgenschweren Trainingsunfall von Rüdiger, der sich in der ersten Übungseinheit auf französischem Boden einen Kreuzbandriss im rechten Knie zugezogen hatte, konnte Löw zumindest die entstandene Lücke im nun jüngsten 23-Mann-Kader bei dieser EM rasch stopfen. Er nominierte den 20 Jahre alte Leverkusener Jonathan Tah nach. „Ich wollte ganz bewusst eine Situation Eins zu Eins schaffen“, begründete Löw den Personalaustausch Innenverteidiger für Innenverteidiger.

„Es war uns ganz wichtig, dass Tah seit drei Wochen im individuellen Training war“, berichtete Löw über den kurzen Entscheidungsprozess zugunsten des einmaligen Nationalspielers: „Insofern stimmt die Basis.“ Tah soll möglichst schnell ans Team herangeführt werden.

Nicht so einfach schließen lässt sich die Lücke, die Rüdiger in der geplanten EM-Startelf hinterlässt. Löw hatte das Abwehrtalent des AS Rom in der Vorbereitung konsequent für die zu Turnierbeginn vakante Position im Abwehrzentrum neben Jérôme Boateng aufgebaut. Rüdiger spielte jeweils 90 Minuten durch in den Tests gegen die Slowakei (1:3) und Ungarn (2:0). Er sollte Mats Hummels ersetzen, der nach einem Muskelfaserriss in der Wade erst im Turnierverlauf spielfit werden kann. „Toni war in einem sehr guten Formzustand“, bedauerte Löw. Dynamik, Zweikampfstärke, Wille - alles habe gepasst.

Nun muss Löw notgedrungen die Abwehr umbauen. Für den Platz an der Seite von Boateng nannte er zwei personelle Möglichkeiten: Shkodran Mustafi und Benedikt Höwedes. „Ich habe Vertrauen in beide Spieler“, versicherte Löw. „Es gilt, im Training die eine oder andere Variante zu testen“, kündigte der Bundestrainer für die kommenden Tage an.

„Musti ist zweikampfstark, gut am Mann. Er kann gut das Spiel eröffnen. Benni ist ebenfalls zweikampfstark und kopfballstark“, urteilte Boateng, der keine Präferenz bei der Partnerwahl hat. „Für mich persönlich ist das kein Problem, egal, wer neben mir spielt.“

Höwedes, der bei der WM 2014 als linker Verteidiger aushalf, hatte sich schon im Trainingslager offen für alles geäußert. „Ich bin ein Typ, der Sachen annimmt, der sagt: Das mach' ich, ich häng' mich rein für die Mannschaft.“ Die Tendenz geht zu einem Abwehrumbau „light“.

Höwedes soll rechts bleiben, Mustafi die neue Vakanz in der Mitte ausfüllen. Zumal Löw am Mittwoch explizit die Fortschritte von Hummels im Aufbautraining hervorhob: „Bei Mats sehe ich eine sehr gute Entwicklung.“ DFB-intern wächst die Hoffnung, dass der Weltmeister doch schon in der Gruppenphase eingreifen kann. Hummels arbeitet wieder am Ball, das Pensum wird gesteigert.

Ilkay Gündogan, Marco Reus, Toni Rüdiger - mit Unbehagen zählte Löw die Namen der verletzten Spieler auf, die ursprünglich „eine wichtige Rolle“ in seinen EM-Plänen gespielt hatten. Immerhin stellte er vier Tage vor dem Ernstfall gegen die Ukraine die Turnierampel auf Grün für die leicht angeschlagenen Boateng (Rücken) und Sami Khedira (Fußprellung). „Da gibt es keine Bedenken“, beteuerte Löw.

Die beiden Weltmeister könnten wieder voll mit dem Team trainieren, anders als die Youngster Julian Weigl (Muskelverhärtung) und Joshua Kimmich (starke Erkältung). Nach seiner langwierigen Knieverletzung ist Bastian Schweinsteiger kein Kandidat für die EM-Startelf. Löw verriet, dass er sich bereits auf einen Ersatzkapitän für das erste Spiel am Sonntag in Lille entschieden habe. „Aber ich werde es erst der Mannschaft sagen.“ Torwart Manuel Neuer und Mittelfeldakteur Khedira heißen die beiden Kandidaten.

Auch wenn Rüdigers Verletzung die Stimmung im feinen Quartier am Genfer See „ein bisschen getrübt“ habe, wie Löw einräumte, gibt es auch positive Nachrichten. Mario Götze, beim FC Bayern Edelreservist, blüht im Nationaltrikot auf. „Mario habe ich sehr positiv gesehen in der Vorbereitung. Ich glaube, er ist bereit für diese EM“, sagte Löw. Zum Chefdirigenten im Mittelfeld ernannte der Bundestrainer in Évian Champions-League-Sieger Toni Kroos: „Er ist ein Fixpunkt. Er hat alle Qualitäten, die man auf dem Platz benötigt.“