Tah profitiert von Rüdigers Aus - Extraschichten im Urlaub
Évian-les Bains (dpa) - Auf der faulen Haut lag EM-Nachrücker Jonathan Tah auch in den Ferien nicht.
Zwar postete der junge Leverkusener Senkrechtstarter mal ein Foto aus einem Freizeitpark, aber vor allem die freiwilligen Sonderschichten über drei Wochen verhalfen dem Innenverteidiger nach dem bitteren Turnier-Aus von Antonio Rüdiger zu einem Platz im Europameisterschaftskader. „Ich weiß, dass Jonathan Tah sehr professionell ist“, lobte Bundestrainer Joachim Löw. „Ich wollte ganz bewusst eine Situation Eins zu Eins schaffen, dass wir einen Innenverteidiger nachnominieren.“
Tah, den der Ruf des Bundestrainers im USA-Urlaub erreichte, packte gerne wieder seinen Koffer und brach umgehend zur Nationalmannschaft auf. „Ich habe Jonathan eine SMS geschickt und ihm Glück gewünscht“, sagte der erfreute Bayer-Sportchef Rudi Völler.
Nach der Trainingsverletzung von Rüdiger könnte nun unverhofft die große EM-Stunde des einmaligen Nationalspielers Tah schlagen. Wie schnell ein Turnieraufstieg vonstatten gehen kann, dafür ist sein Verteidigerkollege Shkodran Mustafi das beste Beispiel. Vor der Weltmeisterschaft 2014 wurde Mustafi von Löw zunächst aussortiert, nach der Verletzung von Marco Reus aber überraschend wieder in den Kader beordert. Auf dem Weg zum WM-Triumph in Brasilien kam der damalige Profi von Sampdoria Genua sogar zu drei Einsätzen.
Mustafi nannte Löw am Mittwoch neben dem Schalker Benedikt Höwedes als eine Option auf den nun vakanten Innenverteidiger-Posten neben Jérôme Boateng. Den Ausfall des bislang dafür vorgesehenen Rüdiger bedauerte der Bundestrainer sehr: „Das tut mir sehr leid für Toni, weil er sich in einem Jahr beim AS Rom und in der Nationalmannschaft kontinuierlich entwickelt hat.“ Der Pechvogel selbst meldete sich am Mittwoch kämpferisch zu Wort. „Ihr mögt mich straucheln sehen, aber ihr werdet mich nie aufgeben sehen“, schrieb Rüdiger im Internet.
Tah soll nach den Planungen von Löw „innerhalb von einigen Tagen, innerhalb von einer Woche“ in einen Zustand gebracht werden, der ihn zu einer Option für die Innenverteidigung macht. Erst einmal brachte die Nachnominierung seiner Auswahl einen Spitzenplatz: Deutschland hat mit nun 25,81 Jahren vor England (25,84) den jüngsten EM-Kader.
Der 1,92 Meter große Innenverteidiger Tah kann trotz seiner erst 20 Jahre auf eine imposante Saison beim Champions-League-Teilnehmer Leverkusen zurückblicken. Nachdem er in der Vorsaison vom Hamburger SV noch an den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf ausgeliehen worden war, avancierte er bei der Werkself auf Anhieb zum Stammspieler. Tah kam auf 45 Pflichtspieleinsätze, davon 44 über 90 Minuten. Er sah als Abwehrspieler dabei nur vier Gelbe Karten. Die letzten Partien der Spielzeit verpasste er wegen einer Lebensmittelvergiftung. Ein Grund für sein Sondertraining im Urlaub.
Tah wird hoffen, dass ein nun früher möglicher nächster Einsatz im DFB-Trikot glücklicher als das Debüt verläuft. Beim 2:3 gegen England kam er zur Pause rein und musste mittendrin erleben, wie eine zerbröselnde deutsche Abwehr in den letzten 30 Minuten drei Treffer kassierte und einen 2:0-Vorsprung verspielte. „Für sein erstes Spiel waren die ersten 45 Minuten absolut in Ordnung“, verteidigte Löw Tah aber damals, nachdem er ihn für Hummels eingewechselt hatte.
Tah, dessen Vater von der Elfenbeinküste stammt und der auch für die Afrikaner spielberechtigt gewesen wäre, hatte sich frühzeitig für eine Karriere beim DFB entschieden. Dass er so schnell zu einer deutschen EM-Teilnahme kommen würde, hätte sich der gebürtiger Hamburger aber auch nicht träumen lassen.