Frankreich-EM ohne Präsident - UEFA vor Mega-Turnier in Schieflage

Paris (dpa) - Auf der Sonnenterrasse des schicken UEFA-Hotels direkt unter dem Eiffelturm ist von Anspannung wenig zu spüren. Mitarbeiter des EM-Veranstalters speisen Crêpes und Crevetten zu ortsüblich hohen Preisen.

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In der Lobby herrscht die emsige Geschäftigkeit, die ein Megaevent mit sich bringt. Kurz vor dem Start der bislang größten Fußball-Europameisterschaft versucht die UEFA, Normalität zu demonstrieren, die es nach dem Rücktritt des als Ethiksünders entlarvten Präsidenten Michel Platini nicht geben kann.

„Es ist nicht ideal, aber wir müssen mit der Situation leben. Die UEFA hat bewiesen, dass sie stark genug ist, die Lage zu meistern“, sagte Interimsgeneralsekretär Theodore Theodoridis am Mittwoch im Stade de France. „Die EM wird stattfinden, ob mit einem gewählten Präsidenten im Amt oder ohne. Die EM ist durch die Administrative und den französischen Verband exzellent vorbereitet. Es ist kein Leck erkennbar“, hatte Wolfgang Niersbach schon vor dem endgültigen Platini-Aus versichert.

Nun hat das deutsche UEFA-Exekutivmitglied selbst große Sorgen, denn die FIFA-Ethikhüter fordern für seine Vergehen in der Aufarbeitung des WM-Skandals eine Zweijahresstrafe. Die Causa Niersbach ist für die UEFA nur eine Marginalie unter den diversen Folgeschäden der skandalösen Enthüllungen über Funktionäre. Auch der EM-Besuch des in die russischen Doping-Praktiken offenbar direkt verwickelten Top-Funktionärs Witali Mutko wird problemlos toleriert.

Viel schlimmer: Ausgerechnet Platini als Architekt und Ideengeber der XXL-EM mit 24 Mannschaften ist bei der am Freitag beginnenden Endrunde außen vor. Eine bittere Demütigung für den mit neun Toren im Jahr der letzten Heim-EM 1984 amtierenden Turnier-Rekordtorschützen. Über seinen PR-Manager ließ Platini mitteilen, dass er trotz Einladung des französischen Verbandes keines der 51 Spiele vom 10. Juni bis 10. Juli in seinem Heimatland im Stadion sehen will. Die Crux: Das Ethikreglement des Weltverbandes verbietet ihm das ohnehin.

Überraschend teilte Theodoridis mit, dass Ethikhüter Hans-Joachim Eckert der UEFA geschrieben habe, Platini dürfe doch kommen, allerdings nur, wenn er keine „offizielle Funktion“ ausübe. Nun wollen die Exekutivmitglieder eine Einladung für alle Spiele beraten. Doch ob Platini sich das antut? Geduldet am Rande der Ehrentribüne?

Der Phantomschmerz nach dem angesichts von vier Jahren Sperre unvermeidlichen Abschied hält bei der UEFA an. Entgegen allen FIFA-Regularien wird der Franzose auf der Verbandshomepage immer noch als Präsident geführt - inklusive Verweis auf das längst aberkannte Amt als FIFA-Vizechef. Kein Wort findet sich dort zu dem Bann wegen einer dubiosen Millionenzahlung durch Ex-FIFA-Chef Joseph Blatter.

Die persönliche Tragik für Platini ist eine Sache. Die Schieflage der UEFA ausgerechnet vor dem Milliardenevent die andere. Erstmals findet eine EM ohne gewählten Präsidenten statt. Ein legitimer Nachfolger war mangels Kandidaten auf die Schnelle nicht zu finden. Formaler Vertreter ist Angel Maria Villar Llona, ein alter Weggefährte von Blatter. Der Spanier ist ein Mann mit belasteter Vergangenheit, der die Öffentlichkeit scheut und Medien als natürlichen Feind empfindet - nicht die besten Voraussetzungen für einen Job im EM-Rampenlicht.

Theodoridis war ranghöchster Repräsentant bei der Pressekonferenz zur Turniereröffnung. Selbst Insidern der Funktionärswelt war der Grieche bis vor wenigen Monaten kaum bekannt. Als Wahlkampfmanager für den neuen FIFA-Chef Gianni Infantino trat er um den Jahreswechsel in Erscheinung, nun ist er zumindest bis zur auf die Zeit nach der EM verschobenen Neuwahl eines UEFA-Chefs am 14. September in Athen Generalsekretär des Kontinentalverbandes und muss die EM entscheidend mitorganisieren.

Die zweite und dritte Reihe der UEFA muss sich angesichts des Vakuums an der Spitze in den Turnierwochen beweisen - und das bei einer bislang nicht gekannten Anzahl an Teams und der bekannten Terrorbedrohung. Immerhin: Ausrichter Frankreich lässt sich sowieso nicht gerne reinreden. Viele Dinge liegen also in der Hand der lokalen Organisatoren. Das oft beklagte Selbstbewusstsein der Grande Nation kommt der UEFA in ihrer großen Krise nun entgegen.