Nach vielen Verletzungen WM-Dauerbrenner im Abseits: Höwedes auch bei Löw außen vor
Gelsenkirchen/Turin (dpa) - Beim FC Schalke 04 im Abseits, bei Juventus Turin Reservist, bei Joachim Löw außen vor: Benedikt Höwedes durchlebt seit gut einem Jahr die wohl schwierigste Zeit seiner Profikarriere.
Noch vor vier Jahren war der inzwischen 30 Jahre alte Abwehrspieler bei der Weltmeisterschaft in Brasilien ein Garant für den Triumph der deutschen Nationalmannschaft - Höwedes war mit dem WM-Pokal in der Hand auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn.
Neben Philipp Lahm war das Schalker Urgestein bei der WM 2014 der einzige deutsche Feldspieler, der keine Spielminute verpasste. Aus Mangel an guten offensiven Linksverteidigern entschied sich Bundestrainer Löw für eine defensive Variante mit dem eigentlich als Innenverteidiger ausgebildeten Höwedes auf der linken Abwehrseite. Und der in Haltern geborene Spieler, der bereits als Knirps in der Schalker Knappenschmiede die Fußballschuhe schnürte, erledigte seinen Job mit größter Zuverlässigkeit.
Sogar Franz Beckenbauer hob die Vorstellungen des Dauerbrenners hervor: „Er hat auf einer völlig fremden Position gespielt und eine Klasseleistung gebracht. Das hat er mit Bravour bewältigt. Höwedes hat mich am meisten überrascht“, lobte einst der „Kaiser“.
Ein filigraner Techniker war Höwedes nie, aber er überzeugte stets durch Leidenschaft, Einsatzwillen, Kopfball- und Zweikampfstärke und Vielseitigkeit. In der Defensive ist er auf jeder Position einsetzbar - eine Variabilität, die auch Löw zu schätzen wusste und die ihm auf Schalke den Status des Publikumslieblings einbrachte. Am 29. Mai 2011 gegen Uruguay debütierte der U21-Europameister von 2009 in der A-Nationalmannschaft, 43 weitere Länderspiele (2 Tore) folgten. Seinen bis dato letztes Spiel im DFB-Dress absolvierte Höwedes am 6. März 2017 gegen Aserbaidschan.
Wenige Monate später musste Höwedes den größten Karriereknick verkraften. Zwar fand er nach einer Leistenoperation im Sommer wieder leidlich Anschluss, doch mit der Amtsübernahme von Trainer Domenico Tedesco auf Schalke geriet er ins Abseits. Höwedes verlor erst seinen Stammplatz, dann nahm Tedesco ihm auch noch die Kapitänsbinde ab.
Als Höwedes gekränkt seine Wechselabsicht kundtat, brachte ein unüberlegter Spruch das Fass zum Überlaufen. „Reisende soll man nicht aufhalten“, sagte Tedesco, der die Aussage in dieser Form später bereute. Hals über Kopf einigte sich Höwedes mit Juventus Turin und kehrte seinem Heimatclub nach 16 Jahren und mehr als 400 Spielen schweren Herzens den Rücken. „Reisende kann man aufhalten, wenn man will“, schrieb Höwedes süffisant auf seiner Facebook-Seite zum Abschied: „Ich gehe als Spieler, aber ich bleibe als Fan. Denn einmal Schalker, immer Schalker!“
Zwar wurde Höwedes mit Juventus italienischer Meister und Pokalsieger, doch die Saison verlief alles andere als wunschgemäß. Von zahlreichen Muskelverletzungen geplagt, brachte es nur auf drei Spiele und 248 Minuten (1 Tor).
Lange hegte er Hoffnungen, noch auf den WM-Zug aufzuspringen. „Es war natürlich mein Ziel, dabei zu sein. Durch die Verletzungen wurden die Vorzeichen jedoch immer schlechter. Wer mich kennt, der weiß, wie mich die Situation ärgert“, räumte Höwedes in der „Bild am Sonntag“ ein.
Dass Löw in Russland auf den Juve-Reservisten verzichtet, ist kein Wunder. Schließlich hat er in Mats Hummels, Niklas Süle, Jérôme Boateng, Matthias Ginter, Jonas Hector, Joshua Kimmich, Marvin Plattenhardt, Antonio Rüdiger und Jonathan Tah genug Abwehrspieler.
Ob Höwedes noch einmal im DFB-Dress aufläuft, scheint so ungewiss wie seine Rückkehr nach Schalke. Am 30. Juni läuft der Leihvertrag mit Turin aus. Bei 25 Einsätzen für die „alte Dame“ hätte eine Kaufverpflichtung über 13 Millionen Euro gegriffen. So aber ist die Ablöse frei verhandelbar. Laut italienischen Medien wäre Juventus nicht abgeneigt, ihn für einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag zu verpflichten.
Höwedes fühlt sich „sehr wohl“ in Turin, spricht inzwischen fließend Italienisch, hält aber trotz der Vorgeschichte ein Comeback auf Schalke für „nicht ausgeschlossen“. Mit dem Coach habe er einige Mal Kontakt gehabt, Unstimmigkeiten seien ausgeräumt. „Ich bin kein nachtragender Mensch. Ich habe und hätte kein Problem, unter Domenico Tedesco zu spielen. Aber egal, wo es hingeht: Beide Mannschaften werden Champions League spielen. Da gibt es schlechtere Optionen.“