Portugal feiert Ronaldo - Niederländer vor Neuanfang

Charkow (dpa) - Nachdem Portugals Superstar Cristiano Ronaldo wie „ein Orkan“ über die Niederländer hinweggefegt war, lag das Team des Vize-Weltmeisters endgültig in Trümmern.

Sang- und klanglos verabschiedete sich das hochgelobte Oranje-Team mit drei Niederlagen im Gepäck von der EM und steht nun vor einem Neuanfang. Mit oder ohne Bondscoach Bert van Marwijk? Das werden die nächsten Wochen zeigen. Portugal kommt dagegen nach der Auftaktniederlage gegen Deutschland immer besser in Schwung. Im Viertelfinale gegen Tschechien will die Selecção den nächsten Schritt zum ersten großen Titel machen.

Im Mittelpunkt stand bei den Südeuropäern wieder einmal Ronaldo. Nach seiner Ein-Mann-Show streifte der Superstar das Trikot vom Astralkörper und zeigte seine menschliche Seite. Die Diva von Real Madrid widmete den denkwürdigen Abend von Charkow seinem Sohn daheim, der am Sonntag zwei Jahre alte wurde. „Junior, Pai te ama. Parabens.“ (Junior, Papa liebt dich. Glückwunsch“) stand auf dem eng anliegenden roten Unterhemd, das Ronaldo den TV-Kameras und 37 445 Fans im Metalist-Stadion stolz präsentierte. „Ich bin sehr glücklich. Heute hat mein Sohn Geburtstag und ihm widme ich meine beiden Tore.“

Praktisch im Alleingang zerlegte der 27-Jährige die Niederlande, schoss sein Team mit dem Doppelpack in der 28. und 74. Minute zum hochverdienten 2:1 (1:1)-Sieg und damit ins EM-Viertelfinale. Rafael van der Vaart (11.) hatte die Elftal in Führung gebracht.

Ronaldo zeigte es mit seinem Gala-Auftritt auch all den Kritikern, die nach den eher durchwachsenen Leistungen gegen Deutschland und Dänemark bereits die Messer gewetzt hatten. Für viele hieß es am Montag Abbitte leisten. „Ronaldo war ein Orkan!“, schrieb sogar der Kolumnist der Zeitung „Público“, der vor ein paar Tagen noch versichert hatte, der Angreifer benötige dringend einen Psychologen.

Auf den Titelseiten aller Zeitungen prangte am Montag das Antlitz des jubelnden Ronaldo. „Das ist der Echte!“, titelte das Sportblatt „O Jogo“. Der Umjubelte selbst blickte bereits nach vorne. „Jetzt ist alles drin“, sagte der Glamour-Kicker voller Selbstvertrauen.

„Cristiano Ronaldo hat den Unterschied ausgemacht“, gestand auch Bondscoach van Marwijk. Bei den Niederländern herrschten nach dem ersten Vorrunden-Aus seit 32 Jahren Auflösungserscheinungen. Zerstritten, zerfahren, zerknirscht - der Mitfavorit gab bei dieser EM ein Bild des Jammers ab.

„Die Lachnummer von Europa“, titelte das „Algemeen Dagbald“. Und „De Telegraaf“ meinte: „Oranje, schäm' dich!“. Im Mittelpunkt der Kritik steht van Marwijk, dessen Amtszeit sich unweigerlich dem Ende zuneigt. In niederländischen Medien wird bereits Ronald Koeman von Feyenoord Rotterdam als Nachfolger gehandelt, auch wenn dessen Club erst einmal ankündigte, die Freigabe verweigern zu wollen.

„Sie können mich alles fragen, aber nicht nach meiner Zukunft“, raunzte van Marwijk einen Medienvertreter an, der es gewagt hatte, das heikle Thema anzusprechen. Doch es ist nicht auszuschließen, dass der 60-Jährige trotz gültigen Vertrages bis 2016 das Handtuch wirft.

Zwei Jahre nach dem Einzug ins WM-Finale hatte van Marwijk die Mannschaft bei der EM zu keiner Zeit im Griff. Die Stars offenbarten, dass man längst kein Team mehr ist, sondern eine Ansammlung von Egozentrikern und teilweise überschätzten Fußballern. „Es ist schwer, füreinander zu kämpfen, wenn das Vertrauen weg ist“, gestand Spielmacher Wesley Sneijder.

Erstmals haben die Holländer bei einer EM oder WM keinen Punkt geholt. „Drei Niederlagen sind Oranje-unwürdig“, sagte Verbands-Direktor Bert van Oostveen. Spätestens bis zum Testspiel Mitte August gegen Belgien soll eine Entscheidung in Sachen Trainer fallen. „Wir setzten uns so schnell wie möglich zusammen. Mitte Juli haben wir Klarheit.“ Van Marwijk verdiene nach vier erfolgreichen Jahren aber auch „Kredit“.

Doch der ehemalige BVB-Coach trug viel zu Misstrauen und Grabenkämpfen im Team bei. Grantig kommt er daher, statt zu motivieren und zu begeistern. Die Medien kanzelte er ab. Zudem beging er schwere taktische Fehler. „Es hat hier von Anfang an nicht geklappt. Aber als Trainer bin ich auch verantwortlich. Nicht nur die Spieler haben Fehler gemacht, sondern auch ich“, sagte van Marwijk. Das klang schon ein wenig nach Abschied.