Russland auf EM-Bewährung: Was bedeutet das UEFA-Urteil?
Paris (dpa) - Noch nie wurde ein EM-Teilnehmer mit so einer krassen Strafandrohung durch die UEFA-Disziplinarkommission konfrontiert. Der mögliche Rauswurf bei weiteren Verfehlungen in einem EM-Stadion hätte für den WM-Gastgeber 2018, aber auch für das laufende Turnier gravierende Konsequenzen.
Wie ist das Urteil der UEFA-Disziplinarkommission zu bewerten?
Die Androhung eines sofortigen Turnierrauswurfes hat es von der UEFA-Disziplinarkommission noch nie gegeben. Daher ist die Entscheidung der Verbandsrichter ein deutliches Signal, zumal mit 150 000 Euro noch eine hohe Geldstrafe verhängt wurde. Möglich wäre auch die Androhung eines Punktabzugs gewesen. Jetzt ist aber klar: Können sich die russischen Fans nicht benehmen, muss die Sbornaja sofort nach Hause.
In welchem Fall kommt es nun zum Turnierausschluss?
Das Urteil der Disziplinarkommission bezieht sich nur auf Verhalten innerhalb des Stadions. Dafür ist das Gremium zuständig. Zur Anklage standen am Dienstag neben den Ausschreitungen auch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern und rassistische Verfehlungen. Zum EM-Rauswurf kommt es aber automatisch nur, wenn es wieder physische Gewalt von russischen Fans gibt.
Und was ist mit der Warnung des UEFA-Exekutivkomitees?
In Prinzip stehen die Russen unter Doppel-Bewährung. Die Disziplinarkommission urteilte über das Verhalten im Stadion. Das Exekutivkomitee hat durch die Statuten die Macht, auch die Aktionen in den Innenstädten zu sanktionieren - tut dies aber nur bei gravierenden Fällen und bei dieser EM überhaupt nur zum zweiten Mal nach 2000, als England nach Krawallen vor dem EM-Aus stand. Diesmal sind England und Russland wegen der Ereignisse in Marseille verwarnt. Ein Ausschluss wäre also auch die Konsequenz, wenn Russen in Stadtzentren wieder für Randale sorgen.
Warum wird Deutschland nicht bestraft, trotz des Zwischenfalls in Lille?
Die UEFA wertet die Ereignisse am Sonntag in Lille, als etwa 50 deutsche Randalierer Fans aus der Ukraine attackierten, als sogenannten „isolierten Einzelfall“. Deshalb beschäftigt sich die Exekutive nicht damit. Die Disziplinarkommission hat keine Handhabe, da sich die Geschehnisse nicht im Stadion abspielten.
Was bedeutet das Urteil für den WM-Gastgeber 2018?
Russland ist als Turniergastgeber angezählt. Auch wenn die selbst skandalerschütterte FIFA natürlich ihr Premiumevent nicht schlecht reden wird. Das Image ist nach den Ermittlungen der Schweizer Behörden um die zweifelhafte WM-Vergabe in Mitleidenschaft gezogen. Die Dopingskandale inklusive drohendem Olympia-Aus für die Leichtathleten tun ihr Übriges. Ein EM-Rauswurf wäre ein fatales Signal für eine (Sport)nation, die sich um Anerkennung gerade in der westlichen Welt sehnt und doch permanent alles tut, um genau dieses zu verspielen.
Wie läuft das Turnier weiter, wenn ein Team nach Hause muss?
Ein Rauswurf würde die UEFA in die Bredouille bringen. Das Exekutivkomitee müsste über eine Modusänderung entscheiden, denn die Ergebnisse der sechs Gruppendritten, von denen die besten vier ins Achtelfinale kommen, wären nicht mehr vergleichbar. Den Statuten gemäß müssten alle Ergebnisse der Russen annulliert würden.
Eine Lösung wäre, dass nur die Resultate der Teams auf Platz eins bis drei jeder Gruppe gewertet würden, um dann die sechs Gruppendritten zu vergleichen. Das wäre aber eine Regeländerung mitten im Turnier und könnte Teams bevorzugen, die gegen ihren Gruppenzweiten gewonnen, gegen den Gruppenvierten aber verloren haben.