Singt, Männer, singt und siegt

Wer singt, der bleibt. Wer nicht singt aber auch. Deutsche Fußballer und ihre Beziehung zum Lied der Deutschen.

Sopot. Vielleicht hat Wolfgang Niersbach den wichtigsten Satz schon vor diesem aufregenden Turnier gesagt. Als der DFB-Präsident adäquat aufgeregt gefragt wurde, ob der deutsche Spieler die Hymne mitsingen müsse, sagte Niersbach: „Hier wird keiner gezwungen. Nur eines geht auf keinen Fall: Kaugummi kauen.“

Niersbach ist erst kurz im Amt, ein neuer Chef erregt neue Obacht, zumeist auch aufgefrischte Gefolgsamkeit. Also machen wir den Test: Mesut Özil? Singt nicht. Jerome Boateng? Schweigt. Khedira? Blickt böse, wahlweise auch konzentriert, singt jedenfalls nicht. Neuer? Nuschelt textverzögert, müht sich aber. Müller zwinkert und trällert. Schweinsteiger? Engagiert dabei. Und alle? Kauen kein Kaugummi.

Na, damit ist ja viel gewonnen und die größte Aufregung abgemildert. Es nervt ja manchen Freund des Vaterlandes durchaus gehörig, wenn die halbe Mannschaft keinen Ton rausbringt und der Rest schief singt. Letzteres ist ja heutzutage nicht mehr wirklich zu hören, weil das Mikrofon, das einst den Spielern aufdringlich vor die Münder fuhr, wohlweislich auf Distanz bleibt. Ein Segen?

Jedenfalls ist mit lautem Ton zur Hymne noch kein Tor erzielt. Und auch kein Gegner erschreckt worden.

Aber die Hymne taugt auch für echte Emotionen. Als die Italiener vor dem Spiel gegen Irland ihr „Fratelli d’Italia“ („Brüder Italiens“) anstimmten, klatschten die fantastischen irischen Fans euphorisch mit. „In meiner kurzen Zeit als Trainer habe ich nie solche Emotionen erlebt, wie beim Abspielen der Hymne vor diesem Spiel“, sagte Italiens Trainer Cesare Prandelli dankbar. Die grünen Fans hätten sogar mitsingen können. In allen EM-Stadien sind die Texte der Hymnen angezeigt, läuft Wort für Wort wie beim Karaoke über die riesigen LED-Wände.

Vielleicht auch eine Hilfe für Podolski, Özil, Khedira und Boateng beim Deutschlandlied? Nein, sie werden weiter schweigen, wegen ihrer ausländischen Wurzeln. Bundestrainer Joachim Löw findet das „in Ordnung“.

DFB-Sportdirektor Matthias Sammer nicht. „Wir geben den Jungs unser Trikot, dafür wollen wir ihre Stimme“, hat Sammer einmal gesagt, das Ganze soll kein Zwang, aber moralische Pflicht im Rahmen seines Wertekatalogs sein. Konstitution, Kondition, Technik, Taktik und — Achtung — Persönlichkeit. Wer nicht singt, soll das begründen. Der aktuelle Nationalspieler begründet derweil: Nichts. Und schweigt zur Hymne. Was in Südafrika gesagt wurde, gilt auch in Polen. Singt, Männer, singt und siegt. Und wer schweigt, der schieße trotzdem aufs Tor. Nur so kann man Europameister werden. Ohne Kaugummi.