Spanien mit „Tiki-Takanaccio“ auf dem Weg zum Triple

Donezk (dpa) - Spaniens Titeljagd geht weiter, aber der Nimbus der Unverwundbarkeit ist dahin.

Auf dem Weg zu seinem historischen dritten Triumph in Serie setzt der Welt- und Europameister mehr auf einen neuen „Tiki-Takanaccio“-Stil und seinen Super-Torwart Iker Casillas als auf die lange so gerühmte Offensivkunst. „Diese Eigenschaft unserer Spieler wird uns die nächsten Triumphe bringen“, prophezeite Trainer Vicente del Bosque nach dem glücklichen 4:2-Sieg im Elfmeterschießen des EM-Halbfinals gegen Portugal. Seinen Helden gab er nach dem Weiterflug nach Kiew, wo es am Sonntag zum Finalduell mit Italien kommt, bis Freitag frei.

Der vorletzte Schritt zum großen Glück hatte viel Kraft und Nerven gekostet. Als sich Andrés Iniesta und Co. in Donezk weit nach Mitternacht auf den entscheidenden Strafstoßschützen Cesc Fàbregas stürzten, mischte sich viel Erleichterung in den unbändigen Jubel. Denn erstmals seit dem Viertelfinale der EM 2008 zum Beginn der goldenen Epoche blieben die Spanier in einer K.o.-Runde ohne eigenes Tor.

„Wir hatten Glück“, gestand Casillas, der den Elfmeter von João Moutinho gehalten hatte. Der Keeper von Real Madrid ist nun 900 Minuten lang ohne Gegentor, wenn man nur die K.o.-Spiele seit 2008 berücksichtigt. Sergio Ramos rühmte ihn deshalb als „besten Torhüter der Welt“. „Im Elfmeterschießen geht es um Glück und wir wurden belohnt, nachdem wir 120 Minuten gelitten hatten“, sagte Casillas.

Die Zuschauer in der Donbass Arena pfiffen die Spanier angesichts ihres Ballgeschiebes sogar zeitweise aus. Vom ermüdenden Kurzpassspiel „Tiki-Taka“ gepaart mit der italienischen Verteidigungskunst „Catenaccio“ fühlt sich das Publikum offenbar nicht mehr ausreichend unterhalten - der spanischen Öffentlichkeit war die Art und Weise des Siegs hingegen herzlich egal.

„La Roja steht nach dem Erfolg über Portugal einen Schritt vor ihrer dritten Krönung. Spanien ist dabei, Fußballgeschichte zu schreiben“, schrieb „El País“. Etwa 40 000 Fans feierten den Zittersieg direkt vor dem Madrider Fußball-Tempel Bernabeu, ansonsten hielt sich die ganz große Euphorie auf den Straßen (noch) zurück. „Vamossssss España!“, twitterte der verletzt fehlende Stürmerstar David Villa, und „El Mundo“ titelte: „Das Rot des Trikots der Spanier ist wie das Rot des glühenden Eisens, das auf dem Amboss bearbeitet wird. Es ist das Rot der Leidenschaft.“

Schon im Elfmeterschießen hatte die Selección Courage bewiesen - allen voran Sergio Ramos. Nur drei Tage nach dem Italiener Andrea Pirlo lupfte der Innenverteidiger in Panenka-Manier den Ball in die Mitte des Tores. Vor zwei Monaten hatte der Profi von Real Madrid im Champions-League-Halbfinale gegen den FC Bayern den entscheidenden Strafstoß noch übers Tor gejagt.

„Sie haben gesagt, dass ich nicht bereit sei, Verantwortung zu übernehmen. Ich bin sehr stolz“, meinte Ramos in Richtung seiner Kritiker. „Es ist jetzt Mode“, knurrte del Bosque zur Schusstechnik, „mir gefällt es besonders, wenn er reingeht.“ Woraufhin der kühne Schütze später mit einem Augenzwinkern antwortete: „Mein Trainer vertraut mir, dass ich das schaffen kann. Er hat viele Jahre mit mir verbracht, er weiß, dass ich verrückt bin.“

Ein wenig durchgedreht hörte sich auch die Geschichte von Fàbregas an, die der eingewechselte Aushilfsangreifer mit einem Strahlen im Gesicht zum Besten gab. Er habe eine „Intuition“ gehabt und das Elfmeterschießen bereits vorhergeahnt, berichtete der 25 Jahre alte gelernte Mittelfeldspieler. Durch diese wundersame Vorahnung fühlte sich Fàbregas berufen, im Gespräch mit del Bosque Verantwortung einzufordern und nicht den zweiten Strafstoß zu schießen: „Ich habe gesagt: Nein, ich will den letzten. Das Leben hat mir eine weitere Chance gegeben und das ist unglaublich.“

Unvorstellbar war vor einigen Jahren auch noch eine derartige Dominanz des Weltfußballs wie sie Spanien seit 2008 zelebriert. „Drei Finals in vier Jahren zu erreichen - ich weiß nicht, ob es das in der Geschichte schon mal gegeben hat“, fragte Fàbregas, „aber das ist der Wahnsinn.“

Die Kombination aus Titeln bei EM, WM und wieder EM wäre wirklich einmalig - Deutschland war nach dem EM-Triumph 1972 und dem WM-Sieg 1974 im EM-Endspiel 1976 an der damaligen Tschechoslowakei gescheitert. „Jetzt wollen wir den Pokal auch mit nach Hause nehmen“, tönte Mittelfeldorganisator Xabi Alonso. Am Sonntag entscheidet sich in Kiew in der Neuauflage des Vorrundenspiels gegen Italien (1:1), ob Spanien als beste Mannschaft in die Historie eingeht.