Spanien verdrängt die Zweifel

Saint-Martin-de-Ré (dpa) - „Geschichte schießt keine Tore“: Die Mahnung auf den Sichtblenden an Spaniens Trainingsplatz in Saint-Martin-de-Ré wird dem Titelverteidiger nicht verborgen geblieben sein.

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„La Roja“ strebt bei der Fußball-Europameisterschaft den dritten EM-Triumph hintereinander an. Doch wie schnell die Lorbeeren der Vergangenheit welken, hat der Fußball-Weltmeister von 2010 vor zwei Jahren beim WM-Vorrunden-Aus in Brasilien erlebt.

Im ersten Gruppenspiel an diesem Montag (15.00 Uhr) gegen Tschechien in Toulouse wird man sehen, was die Iberer wirklich drauf haben. Und ob die Mannschaft die Skandal-Schlagzeilen um Torhüter David de Gea weggesteckt hat.

Für Vicente del Bosque ist der Titel „das Ziel, aber keine Verpflichtung“. Der 65 Jahre alte hochdekorierte Erfolgscoach könnte sich durch das ganz große Portal von der internationalen Bühne verabschieden, auch wenn sein Abgang noch nicht offiziell ist. „Wir sind nicht so vermessen zu sagen, dass wir hier gewinnen“, sagt er.

Bundestrainer Joachim Löw zählt die Iberer weiter zu den Topfavoriten in Frankreich. „Die Spanier sind nach wie vor auf dem allerhöchsten Niveau, auch wenn sie 2014 bei der WM als Titelverteidiger früh ausgeschieden sind.“ Das hohe Niveau des spanischen Fußballs zeige sich auch an den Erfolgen der Clubteams.

Diese haben aber auch die Vorbereitung mächtig erschwert: Erst im abschließenden Testspiel gegen Georgien waren die Profis der Champions-League-Finalisten Atlético und Real Madrid dabei - und dann setzte es noch ein peinliches 0:1. „Gegen Georgien verliert man in 100 Spielen einmal, das war am Dienstag“, sagt Innenverteidiger Gerard Piqué. „Ich verstehe ja, dass man die Dinge diskutiert und kritisiert. Aber am Montag fangen wir mit einem Sieg gegen Tschechien an - und alles wird sich ändern.“

Bereits vor dem ersten Spiel musste sich der Weltmeister von 2010 im Krisenmanagement üben: Torwart de Gea ist in einen Skandal um einen Porno- und Zuhälterring verwickelt, auch wenn sich der 25-Jährige dagegen wehrte und von einer „Lüge“ spricht. Der Fall könnte jetzt seinem Rivalen Iker Casillas zugute kommen. Der Kapitän, Rekordnationalspieler (167 Länderspiele/93 Gegentore) und fünfmaliger „Weltfußballer des Jahres“ hat beim FC Porto eine durchwachsene Saison gespielt und seine beste Zeit wohl hinter sich.

De Gea zählt zu den besten Torhütern der Premier League und schien zuletzt die Nase vorn zu haben. Sein Teamkollege Pedro Rodriguéz glaubt nicht, dass der Schlussmann wegen der Skandal-Schlagzeilen um seine Chancen bangen muss. Del Bosque werde die Torhüterfrage entscheiden - „und diese Nachricht wird ihn überhaupt nicht in seiner Entscheidung beeinflussen“.

Der Trainer selbst ließ auch bei der Abschlusspressekonferenz offen, wer zwischen den Pfosten steht: „Sie werden es dann erfahren, ob sie spielen, wenn es die anderen auch erfahren“, sagte er über seine beiden Kandidaten. Wie er es ihnen beibringen werde? „Hombre, die sind erwachsen, die haben die Pubertät hinter sich“, meinte del Bosque etwas genervt von der ganzen Debatte.

Neben Casillas sind noch vier weitere Profis vom EM-Triumph 2008 dabei: Andrés Iniesta, Sergio Ramos, Gerard Piqué und David Silva. „Ich vertraue sehr meinen Altgedienten, die schon lange in der Auswahl spielen und in die Neuen, die neue Impulse einbringen“, sagt del Bosque. „Die EM dreimal hintereinander zu gewinnen, das wäre etwas bis heute Unerreichtes“, betonte Iniesta.

Zu den Turnier-Debütanten bei Spaniens zehnter EM-Teilnahme zählt auch Alvaro Morata. Und der Stürmer von Juventus Turin zeigt Selbstbewusstsein: „Ich denke, dass Spaniens letzte Spielergeneration Geschichte geschrieben und alles, was ging, gewonnen hat. Aber auch die nächste Generation ist ein Gewinnerteam.“ Zu der zählt sich auch Mittelfeldspieler Thiago vom FC Bayern, der einzige Bundesliga-Profi im Kader. Er kämpft mit Cesc Fabregas um einen Platz in der Startelf.