Storck will Ungarns Fußball aus der Versenkung holen
Tourrettes (dpa) - Zumindest am frühen Morgen hat Bernd Storck ein bisschen Zeit für sich. Für Sport, Telefonate oder um einfach nur ein bisschen abzuschalten. Ansonsten ist Ungarns Nationaltrainer fast rund um die Uhr beschäftigt.
Die Magyaren sind erstmals seit 30 Jahren wieder bei einem großen Turnier dabei, zuletzt waren sie 1986 für die WM in Mexiko qualifiziert. Dementsprechend ist das Treiben bei einem Mega-Event wie der auf 24 Teams aufgeblähten Fußball-EM absolutes Neuland für den Verband. „Es gibt verdammt viel zu tun, aber es macht sehr viel Spaß“, sagte Storck im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Als er im Juli des vergangenen Jahres die Nachfolge des heutigen Hertha-BSC-Coaches Pal Dardai antrat, stieß er mit dem Nationalteam bei den Ungarn noch auf große Skepsis. „Die Stimmung war nach dem Motto: „Ach, das schafft ihr doch eh nicht““, erinnerte sich Storck. Selbst als seine Mannschaft das Play-off-Hinspiel in Norwegen gewann, gab es noch große Zweifel an der Qualifikation für Frankreich. Erst als es auch im Rückspiel einen Sieg gab, war die Freude im Land des Vize-Weltmeisters von 1954 riesengroß.
„Die großen Erfolge der Vergangenheit sind im Bewusstsein aber immer noch tief verankert, das kann für die Spieler schon zu einer Last werden“, sagte Storck. Das zu lange Festhalten an den Triumphen der goldenen Generation um Ferenc Puskas und Co. hat dazu geführt, dass die Ungarn international den Anschluss verloren haben. „Die Clubs spielen international fast keine Rolle. Die schaffen es meist nicht einmal in die Gruppenphase der Europa League, von der Champions League ganz zu schweigen“, sagte Storck.
Er denkt deshalb nicht nur an das aktuelle Turnier in Frankreich, wenn er über den ungarischen Fußball redet. „Ich habe die Weiterentwicklung der Mannschaft insgesamt im Blick“, sagte der 53-Jährige. „Nach der Europameisterschaft steht schon wieder die Qualifikation für die WM in Russland an. Da wollen wir wieder eine gute Rolle spielen. Die Teilnahme hier soll nicht nur eine Momentaufnahme sein.“ Insgesamt sei es „eine Riesenherausforderung, den ungarischen Fußball dauerhaft wieder aus der Versenkung zu holen.“
In vielen Bereichen hinke der Fußball in Ungarn internationalen Standards noch hinterher. Leistungsdiagnostik, Trainingssteuerung oder auch kindergerechtes Training - das alles habe es bislang nicht oder nur vereinzelt gegeben. „Von daher versuche ich, hier zusammen mit Andreas Möller und Holger Gehrke auch ein bisschen Aufklärung zu betreiben und Dinge zu erklären“, sagte Storck über die gemeinsame Arbeit mit seinen Assistenten. Welt- und Europameister Möller lobte seinen Chef. „Bernd ist einer, der sich unglaublich akribisch mit dem Fußball auseinander setzt. Er lebt und liebt den Fußball 24 Stunden am Tag.“
Doch natürlich geht es für den 53-Jährigen auch um den aktuellen Erfolg in Frankreich. Nach dem überraschenden Auftaktsieg gegen Ungarn kann das Team um den 40 Jahre alten Turnier-Opa Gabor Kiraly bereits am Samstag mit einem weiteren Erfolg gegen Island das Ticket für das Achtelfinale lösen. Deshalb hat der frühere Bundesliga-Profi sein Team auch aufgefordert, den Fokus wieder voll auf das Duell in Marseille zu richten. „Natürlich sind wir alle überglücklich, aber wir müssen den Sieg jetzt abhaken. Am Samstag steht gegen Island schon das nächste schwere Spiel an.“