Three Lions wollen „50 Jahre Schmerz“ vergessen
Marseille (dpa) - Ein halbes Jahrhundert voller Schmerz soll für Wayne Rooney & Co. endlich genug sein. Im Jubiläums-Sommer des bislang letzten Titels glauben die Three Lions dank ihrer Top-Talente bei der EM in Frankreich - wieder einmal - an die ganz große Chance.
„Es ist jetzt 50 Jahre her, dass wir die WM gewonnen haben und diese Zeit ist für Englands Fußball zu lang“, tönte Kapitän Rooney vor dem Auftakt gegen Russland am Samstag (21.00 Uhr) in Marseille. „In naher Zukunft wollen wir das ändern.“
Nicht zuletzt das „Wunder von Berlin“ mit dem begeisternden 3:2 im Test bei Weltmeister Deutschland und eine perfekte Qualifikation haben die Euphorie angefacht. Bei den heimischen Buchmachern liegt das junge Team im Rennen der Titelkandidaten hinter Gastgeber Frankreich, Weltmeister Deutschland und Titelverteidiger Spanien sogar auf Rang vier. Gegen Russland um Schalke-Profi Roman Neustädter muss England allerdings seine Auftaktpanik ablegen und im neunten Anlauf erstmals ein EM-Eröffnungsspiel gewinnen.
„Die erste Partie ist gewaltig wichtig“, betonte Rooney, nachdem es zuletzt bei der WM 2006 zum Start einen Sieg gab. „Jeder sagt, dass du das erste Spiel nicht verlieren willst. Aber der Unterschied, wenn du gewinnst, ist riesig. Die Jungs brennen darauf, und ich kann es kaum erwarten.“
Doch vor allem die Rolle des Anführers wirft Fragen auf. Die angestammte Position des 30-Jährigen im Zentrum besetzt Premier-League-Topstürmer Harry Kane (22 Jahre). Auch die Youngster Dele Alli (20) und Raheem Sterling (21) konnten offensiv zuletzt überzeugen. „50 Jahre Schmerz - und wir begeistern uns immer noch für dieses Team“, schrieb der „Telegraph“. Auch Prinz William fiebert in der Heimat am Bildschirm mit: „Denkt daran, die Nation steht hinter euch. Viel Glück euch allen“, sagte der Präsident des englischen Verbands in einer Videobotschaft an das Team.
„Es ist ein aufregender, hungriger und energiegeladener Haufen“, beschrieb Trainer-Routinier Roy Hodgson seine Mannschaft. Der Mangel an Erfahrung „wird durch unsere Jugend, unsere Energie und unseren Enthusiasmus wieder wettgemacht.“ Nach dem ernüchternden WM-Vorrunden-Aus in Brasilien hat der 68-Jährige den Umbruch weiter vorangetrieben und insgesamt elf Turnierneulinge berufen. Von der EM 2012 sind nur noch vier Profis dabei.
Gegen Russland dürfte Hodgson voraussichtlich Jamie Vardy von Meister Leicester City aus dem Team nehmen, um seinen Kapitän nicht zum Auftakt bloßzustellen. „Rooney weiß, dass er bei diesem Turnier liefern muss, nachdem er seit der EM 2004 immer enttäuscht hat“, schrieb die „Times“: „Die Euro 2016 ist Rooneys letzter Versuch, für etwas Substanz in seiner Länderspiel-Karriere zu sorgen. Nach einer Schreckens-Dekade muss er jetzt beeindrucken.“
Im Duell des zweitjüngsten Teams des Turniers mit der zweitältesten Auswahl will die Hodgson-Elf ihren Schnelligkeitsvorteil ausspielen. Sorge bereitet den englischen Medien der eingebürgerte Roman Neustädter, der vor seinem Pflichtspiel-Debüt für die Sbornaja steht. „Russlands neueste Rekrutierung wird versuchen, eine der goldenen Fußball-Regeln zu übertragen: dass die Deutschen die Engländer immer schlagen, wenn es zählt“, prophezeite die „Daily Mail“.
„Ich hoffe, ich kann der Mannschaft Glück bringen gegen England“, sagte der Schalker, der aufgrund der jüngsten Verletzungssorgen ins Team rücken könnte. Russlands Trainer Leonid Sluzki wollte sich zwar noch nicht auf einen Einsatz des 28-Jährigen festlegen, lobte Neustädter aber. „Er ist sehr professionell. Ich habe einen guten Eindruck von ihm und bin froh, dass wir ihn hier haben“, sagte der Coach. Seinen Pass hatte der in der heutigen Ukraine geborene Neustädter erst wenige Tage vor Turnierbeginn erhalten.
Für Russland wäre gerade mit Blick auf die Gastgeberrolle bei der WM in zwei Jahren ein Scheitern in der Vorrunde peinlich. Bei England muss Hodgson mindestens die Runde der besten Acht erreichen, um seinen Job zu sichern. „Ich höre, dass die Leute sagen, dass das Viertelfinale okay für uns wäre“, sagte der frühere Anführer Frank Lampard. „Aber das ist nicht meine Meinung. Ich denke, dass wir es ins Halbfinale schaffen können.“