Von Fouls und Torschüssen - die EM der Datensammler
Warschau (dpa) - Lust auf ein paar kuriose EM-Daten? Cristiano Ronaldo brachte die meisten Schüsse aller EM-Profis aufs Tor, nämlich neun und damit sogar einen Schuss mehr als das gesamte griechische Team.
Franck Ribéry bestritt mit Abstand die meisten Zweikämpfe: 91 (44% gewonnen) und Dribblings: 38 (42 % erfolgreich). Oder auch interessant: Der Ire Robbie Keane lief am häufigsten ins Abseits (siebenmal). Mit Tschechien erreichte erstmals ein Team mit negativer Tordifferenz Platz eins einer EM-Vorrundengruppe. Ach ja, und Spaniens Weltmeister Xavi gab die meisten Torschussvorlagen, ohne dass eine einzige davon zu einem Treffer führte (17).
Was sich auf den ersten Blick nach einer Rechenaufgabe für Mathe-Nerds anhört, ist in Wahrheit seriöse statistische Aufbereitung des fußballerischen Geschehens in der Vorrunde und den Viertelfinals bei der EM in Polen und der Ukraine. „Das Thema wird immer wichtiger, das Interesse von Medien und Fans an Zahlenmaterial immer größer“, sagt Dirk Ifsen, Vorstand von Opta Sport Daten. Der Sportdatenanbieter stellt für die EM zum einen Statistiken für Medien in der ganzen Welt zusammen. Zum anderen arbeitet das Unternehmen auch mit „vier der großen Mannschaften“, wie es Ifsen formuliert, im Scouting- und Analysebereich zusammen.
Um welche Teams es sich handelt, wollen sie bei Opta lieber nicht verraten. Mindestens eine der vier Mannschaften steht aber in einem der beiden Halbfinals zwischen Spanien und Portugal am Mittwoch in Donezk und Deutschland gegen Italien am Donnerstag in Warschau.
Bei Opta werden in den Büros in London und München-Unterföhring von Scouts an Fernsehschirmen per Mausklick während eines Spiels bis zu 2000 Einzelfakten registriert. Damit können Bewegungsprofile von Spielern erstellt oder auch die bevorzugte Ecke von Schützen beim Elfmeterschießen dokumentiert werden.
Die Datensammler der EM liefern also einerseits dem Fußballfan nette Zahlen zum Angeben und Diskutieren im Sinne: Wusstest du eigentlich, dass? Oder zeichnen mit aufwendigen optischen Grafiken Laufwege und Abseitsstellungen nach, die dann in Internetforen ausgiebig debattiert werden können. Für Statistik-, Taktik- und Datenbankliebhaber ist die EURO eine Spielwiese ungeahnten Ausmaßes. So werden im Netz detailliert Fouls und Zweikämpfe analysiert oder sämtliche Laufwege eines Andrea Pirlo im Viertelfinale der Italiener gegen England grafisch aufgearbeitet. „Die Fußballfans wollen vor allem kuriose Fakten“, sagt Ifsen.
Andererseits dienen die Datenbanken Trainern und Betreuern als wichtige und unerlässliche Hilfe vor jedem Spiel. Auch Bundestrainer Joachim Löw überlasst bei der Vorbereitung auf den Gegner nichts dem Zufall. Ein Studenten-Team der Sporthochschule Köln liefert Löw Hinweise auf die Stärken, Schwächen und Spielweise jedes Teams.
Zugleich entzündet sich an dem Statistik-Wahnsinn allerdings auch immer mehr Streit zwischen Traditionalisten und Modernisten. Dieser wird umso kontroverser, je größer die Datenmenge wird, die Firmen wie Opta, MasterCoach, Deltatre oder Impire erstellen.
Der DFL-Partner Impire stand in der vergangenen Bundesliga-Saison sogar im Zentrum einer Debatte über den sogenannten gläsernen Profi. In den Club-Chefetagen wurde befürchtet, die Auswertungen könnten negativen Einfluss auf den Marktwert von Spielern haben. Der Streit wurde beigelegt - die Aussagekraft sämtlicher Zahlen ist ohnehin begrenzt. Sportwissenschaftler vertreten die These, dass bei der Hälfte aller Tore der Zufall im Spiel ist.
Zudem kann keine Datenbank der Welt das Ego von Cristiano Ronaldo oder die Angst englischer Nationalspieler vor dem Elfmeter erfassen. Das „Süddeutsche Zeitung Magazin“ schrieb passend: „All die Videoüberwachung der Fußballer verhindert zum Glück nicht Momente des Genies oder Wahnsinns, die unvergessliche Spiele brauchen.“