Kaputt und glücklich: DFB-Frauen leben EM-Finaltraum
Göteborg (dpa) - Am Tag nach dem Halbfinal-Kraftakt gegen Gastgeber Schweden standen für die geschundenen deutschen Spielerinnen nur Erholung und Pflege auf der Agenda.
„Ich bin platt wie ein Pfannekuchen, körperlich fix und fertig“, erklärte die schweißgebadete Nadine Keßler nach dem grandiosen 1:0-Sieg im Halbfinale und ließ sich am Donnerstagmorgen wie ihre Teamkolleginnen erstmal behandeln und verwöhnen.
„Es ist gut, dass wir nun einen Tag länger Pause haben. Da können die Spielerinnen den Sieg ein wenig genießen und ausruhen“, meinte Bundestrainerin Silvia Neid, die mächtig stolz auf ihr Team war. „Ich freue mich, dass wir es mit dieser jungen Mannschaft ins Finale geschafft haben. Das sind alle tolle Menschen.“ Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte zum Final-Einzug gegen Norwegen, das sich 4:2 im Elfmeterschießen gegen Dänemark durchsetzte. Nach der Verlängerung hatte es 1:1 (1:1, 1:0) gestanden. In der Vorrunde hatte die DFB-Auswahl 0:1 gegen die Norwegerinnen verloren.
Nach kurzer Nacht und individuellen Einheiten auf der Massagebank, in der Sauna oder auf der Pritsche der Physiotherapeuten war am Vormittag noch kollektives Aquajogging im Schwimmbad angesetzt. Dann gemeinsames Mittagessen im Hotel in Göteborg, ehe es mit dem Zug nach Stockholm weiterging. Zwei Abteilwagen hatte der DFB für seinen 40-köpfigen Tross reserviert. Am Nachmittag bezogen die müden, aber glücklichen Akteurinnen ihre Zimmer im Radisson Royal Park Hotel im Finalort Solna bei Stockholm.
Einige konnten noch immer kaum begreifen, mit welch toller Leistung sie nach dem Holperstart ins Turnier ihre Fans begeistert und die Kritiker überzeugt hatten. „Es war ein superintensives Spiel, es ging hin und her und war sehr spannend“, betonte die zur besten Spielerin der Partie gekürte Innenverteidigerin Saskia Bartusiak. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sprach der jungen Mannschaft ein „großes Kompliment“ aus.
„Für mich zum richtigen Zeitpunkt die absolut beste Turnierleistung“, kommentierte der Boss des Deutschen Fußball-Bundes. „Und ich traue der Mannschaft jetzt auch am Sonntag zu, dass sie noch mal mit der gleichen Leistung wirklich zum sechsten Mal hintereinander Europameister wird.“ Männer-Bundestrainer Joachim Löw und Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff drücken für das Finale ebenfalls die Daumen. „Finale! Was ein Wahnsinn!“, hieß es in einem Schreiben, das die DFB-Frauen erhielten. Und: „Holt den Titel!“
Siegtorschützin Dzsenifer Marozsan, die in der 33. Minute nach toller Vorarbeit von Keßler und Anja Mittag im Fallen den Ball an Schwedens Torhüterin Kristin Hammerström vorbei gespitzelt hatte, war auch am Donnerstag noch beeindruckt von der tollen Stimmung in Gelb und Blau. 16 608 Fans gaben dem rasanten Spiel im ausverkauften Stadion Gambla Ullevi einen angemessenen Rahmen. „Die Atmosphäre war Wahnsinn. Auch wenn die meisten gegen uns waren, blieb es sehr fair“, lobte Marozsan.
In Deutschland war das Halbfinal-Drama ein Quotenrenner. Der Auftritt der deutschen Frauen stahl sogar dem emotionalen Testspiel zwischen Bayern München und dem FC Barcelona die Quoten-Show. 8,22 Millionen Zuschauer drückten der DFB-Auswahl die Daumen und bescherten dem ZDF einen hohen Marktanteil von 29,9 Prozent. Zuvor hatten ebenfalls im Zweiten nur 5,11 Millionen Fußballfans das 2:0 von Triple-Gewinner Bayern im Benefizspiel gegen Barca verfolgt.
Während die unglücklichen Schwedinnen nach dem Abpfiff hemmungslos weinten und sich klatschend und winkend auf eine Ehrenrunde begaben (Trainerin Pia Sundhage: „Wir wollten uns für die tolle Unterstützung bei den Fans bedanken“), kannte der Jubel im deutschen Lager keine Grenzen: Neid riss an der Seitenlinie die Arme hoch und herzte ihre Assistentin Ulrike Ballweg, die Spielerinnen verschmolzen zu einer Traube. „Das hat riesigen Spaß gemacht, jetzt wollen wir auch den Titel“, sagte die für den FC Malmö spielende Mittag nach ihrem gelungenen „Heimspiel“.
Endlich konnte auch Mittag als Sturmersatz für die verletzt fehlende Toptorjägerin Celia Okoyino da Mababi ihre Nervosität ablegen und ihr Können zeigen. „Wir hatten am Abend vorher ein gutes Gespräch“, berichtete Neid. „Und dann haben wir gemeinsam beschlossen, dass sie für Celia spielt.“
Gedanken an den Gegner im Finale am Sonntag in Solna verschwendete noch niemand. Am Donnerstagabend wurde entspannt und zufrieden das skandinavische Duell im zweiten Halbfinale zwischen Norwegen und Dänemark verfolgt werden. Bislang hat die DFB-Auswahl noch nie ein EM-Endspiel verloren. Siebenmal stand Deutschland schon im Finale - siebenmal verließ man den Rasen als Sieger. „Natürlich wäre es schön, wenn wir den achten Titel gewinnen. Wir werden uns auf jeden Fall konzentriert und fokussiert auf das Spiel vorbereiten“, sagte Neid.
Den 1:0-Viertelfinalerfolg gegen Italien wertete die Trainerin im Nachhinein als „Schlüsselspiel“. Da sei es nur darauf angekommen, den unangenehmen Gegner „im Zaum zu halten“. Den jungen Spielerinnen sei mit dem Halbfinaleinzug „ein Stein vom Herzen“ gefallen. „Gegen Schweden konnten wir dann befreiter aufspielen“, erklärte Neid. „Irgendwann musste der Knoten ja mal platzen“, sagte Keßler. „Wir wussten ja, dass wir es können.“
Außer Frage steht, dass die Mannschaft nicht nur von ihrer spielerischen Klasse, Fitness und Intelligenz lebt, sondern auch von ihrem überragenden Teamgeist profitiert. „Schon in der Vorbereitung hatten wir einen tollen Geist in der Mannschaft und viel Spaß miteinander. Das hat sich im Turnier in Schweden fortgesetzt“, versicherte Bartusiak. Neid meinte schelmisch. „Und wenn man im Finale steht, kann man sich noch besser leiden.“