Vor zehn Jahren: Deutschland wird Weltmeister

Düsseldorf (dpa) - Nia Tsholofelo Künzer staunt. „Wahnsinn, ist das schon so lange her?“ Auch die Reaktion von Steffi Jones ist symptomatisch: „Hammer, das ist alles noch so präsent“, sagt die DFB-Direktorin für Frauenfußball, wenn sie an den ersten deutschen WM-Triumph 2003 denkt.

Am 12. Oktober jährt sich das historische Ereignis bereits zum zehnten Mal. „Bei all dem Negativen überwiegen bei mir die schönen Erinnerungen“, sagt Jones der Nachrichtenagentur dpa. „Obwohl es für mich persönlich ja nicht so eine schöne WM war.“

Denn die wie Maren Meinert erst kurz vor der WM reaktivierte Jones erlebte den berauschenden WM-Schlusspunkt wie mehr als 13 Millionen Fans daheim am Fernseher. Die Defensivspezialistin, die später im Deutschen Fußball-Bund (DFB) zur OK-Chefin der Heim-WM 2011 aufstieg, hatte sich im letzten WM-Gruppenspiel (6:1 gegen Argentinien) das Kreuzband im Knie gerissen und die Heimreise antreten müssen. Beim Empfang der WM-Heldinnen am Frankfurter Römer 38 Stunden nach dem Triumph durch mehr als 6000 begeisterte Anhänger war Jones wieder mittendrin - auf Krücken humpelte sie umher. „Ich habe Rotz und Wasser geheult, als ich die Menschenmenge sah.“

Vielen sind die Bilder von Künzers Siegtor noch vor Augen als wäre es gestern gewesen. 1:1 stand es im Finale gegen Schweden am 12. Oktober 2003 im kalifornischen Carson nach regulärer Spielzeit - Verlängerung. In der 98. Minute stieg Künzer nach einem Freistoß von Renate „Itschi“ Lingor hoch zum Kopfball - der Ball segelte in hohem Bogen hinweg über Schwedens Torhüterin Caroline Jönsson. Abpfiff. Deutschland war zum ersten Mal Weltmeister im Frauenfußball!

Das Golden Goal ging als letztes in die Historie ein, denn bald danach wurde die umstrittene Regel - nach einem Tor in der Verlängerung war sofort Schluss - abgeschafft. Nicht nur Franz Beckenbauer befand: Das war der „größte Schmarrn aller Zeiten“.

Für „Goldköpfchen“ Künzer war das WM-Siegtor ein einschneidendes Erlebnis. Ihr zweiter Länderspieltreffer in insgesamt nur 34 DFB-Einsätzen machte die 23-Jährige, die damals schon drei Kreuzbandrisse erlitten hatte, weithin bekannt. Man erfuhr, dass sie in Botswana geboren wurde, wo ihre Eltern als Entwicklungshelfer tätig waren. Dass sie mit zahlreichen Pflegegeschwistern aufwuchs, dass Nia aus der Swahili-Sprache stammt und „Ich will“ bedeutet, und ihr zweiter Vorname Tsholofelo mit „Hoffnung“ übersetzt werden kann.

„Rückblickend“, gesteht Künzer, „ist das alles wie aus einem anderen Leben. Andererseits denke ich: das kann doch noch nicht so lange her sein. Aber die Zeit ist sehr schnelllebig. Seitdem ist in meinem Leben unglaublich viel passiert.“ Zwar habe der Treffer, der von den Zuschauern der ARD-Sportschau später zum „Tor des Jahres“ gewählt wurde, nicht ihr ganzes Leben umgekrempelt, „aber natürlich habe ich davon profitiert - bis heute. Aber man muss die sich bietenden Möglichkeiten auch nutzen. Ich habe viel dafür getan.“

Türen öffneten sich, Auszeichnungen folgten. Künzer schloss nach ihrer Karriere ihr Studium als Diplom-Pädagogin ab, wurde Mutter, nutzte ihre Popularität auch für Engagements in vielen sozialen Projekten. Seit 2008 ist sie Referentin für Sport und Integration im Hessischen Innenministerium, derzeit arbeitet sie jedoch als Beraterin für ein Projekt des Bundesinnenministeriums. Nebenbei ist sie weiterhin als ARD-Expertin bei Frauen-Länderspielen am Ball.

Und die Chefin, die als erste Frau ein Team zu WM-Ehren führte? Ex-Bundestrainerin Tina Theune - nach der Scheidung nahm sie wieder ihren Mädchennamen Theune an - blieb dem Fußball verbunden. Auch nachdem sie ihr Amt nach der EM 2005 an Silvia Neid übergeben hatte. Die 59 Jahre alte Hobbyfotografin war in einigen Funktionen für den Weltverband FIFA unterwegs, stellte die Aktivitäten aber wegen Knieproblemen im Vorjahr zurück. Beim DFB erfüllt die Diplom-Sportlehrerin zahlreiche „besondere Aufgaben“ im Frauen- und Mädchenfußball. „Allzweckwaffe“ - der Beschreibung gefällt ihr gut. Sie ist für die Fortbildung von Trainerinnen und Trainern zuständig, treibt zahlreiche Projekte wie die Talentförderung, die Arbeit in den Stützpunkten und den Eliteschulen voran, und vieles mehr.

„Zufriedenheit ist Stillstand“, sagte Theune im dpa-Interview. Es gebe trotz der rasanten Entwicklung noch viel zu tun. „Wir haben viele Ideen, wollen Talente auch neben ihrer Fußball-Laufbahn noch individueller begleiten.“ Früher habe man vom Halbprofitum geträumt, nun gebe es „einige Spielerinnen, die vom Fußball leben können“, sieben- bis achtmal pro Woche trainieren. „Nach 2003 sind viele Dinge angeschoben worden, von denen die heutige Generation profitiert.“

Wenn sie an die WM denkt, kommen ihr „die akribische und intensive Vorbereitung, der unfassbare Teamgeist und das 3:0 im Halbfinale gegen die USA“ in den Sinn. Und natürlich der Empfang in Frankfurt. „Der Platz am Römer war voller Menschen, die nur wegen uns gekommen waren. Sowas gab es im Frauenfußball bis dahin nicht.“