Das Fußball-Wunder von Leicester
Leicester (dpa) - Leicester City erlebt knapp vier Wochen vor Weihnachten sein eigenes Märchen. Der Club aus der 300 000-Einwohner-Stadt in den englischen Midlands ist völlig überraschend Spitzenreiter der Premier League.
Noch atemberaubender ist allerdings der Werdegang von Leicester-Stürmer Jamie Vardy. Der 28 Jahre alte Angreifer kickte bis 2010 noch in der achten Liga, teilweise mit einer Fußfessel. Heute ist er begehrt bei den Top-Clubs und bereits viermaliger Nationalspieler.
„Ich muss mich noch kneifen“, schrieb Vardy am vergangenen Wochenende bei Twitter. Zuvor egalisierte er mit seinem 13. Saisontreffer einen Rekord von Ruud van Nistelrooy. Der Niederländer, damals in Diensten von Manchester United, traf in zehn Ligaspielen nacheinander. Als erster Engländer machte es ihm Vardy nach. Am Samstag kann der Offensivspieler mit einem Erfolgserlebnis ausgerechnet im Spitzenspiel gegen Verfolger United und Weltmeister Bastian Schweinsteiger alleiniger Rekordhalter werden.
Dabei spielte er bis vor fünf Jahren noch beim Achtligisten Stocksbridge. In dieser Zeit musste Vardy sogar ein halbes Jahr mit einer elektronischen Fußfessel kicken. Aufgrund einer Verurteilung nach einer Kneipenschlägerei musste der Fußball-Profi stets vor 18 Uhr ausgewechselt werden, sonst hätte er gegen Bewährungsauflagen verstoßen. „Ich habe gehofft, dass wir gewinnen, und bin dann über den Zaun gesprungen. Dort haben mich meine Eltern abgeholt, damit ich wieder rechtzeitig zu Hause war“, schilderte Vardy.
Über Halifax und Fleetwood landete er 2012 bei Leicester. 1,25 Millionen Euro zahlte der damalige Zweitligist für Vardy. Heute ist der Stürmer ein Vielfaches davon wert. Laut der Boulevardzeitung „Daily Mirror“ hat der FC Chelsea ein Auge auf den Newcomer geworfen und soll angeblich bereit sein, in der Winterpause knapp 30 Millionen Euro auf den Tisch zu legen. Auch Partner Riyad Mahrez (sieben Tore) weckt Begehrlichkeiten.
„Jetzt sind sie die Kings. Wenn man zu einem großen Club geht und auf der Bank sitzt, fühlt man sich dann gut oder nicht?“, fragte Leicester-Trainer Claudio Ranieri. „Ich kann jeden verstehen, der gehen möchte. Allerdings glaube ich, dass Leicester in den nächsten Jahren sich langsam, langsam an die Spitzen kämpfen kann.“
Das Team des neuen italienischen Coaches hatte vor der Saison niemand auf dem Zettel. Leicester rettete sich nur dank einer Siegesserie vor dem Abstieg. Manchester City, Arsenal, Manchester United und Titelverteidiger Chelsea sahen die Experten vorn. Das Mourinho-Team hat aber derzeit einen 14-Punkte-Rückstand auf die Mannschaft um die früheren Bundesligaspieler Christian Fuchs (Schalke) und Shinji Okazaki (Mainz 05).
„Es sieht so aus, als können sie alles. Sie fliegen derzeit durch die Liga, und es ist verdient. Sie machen einen brillanten Job“, lobte Liverpool-Trainer Jürgen Klopp. „Nicht mal sie selbst haben das erwartet“, meinte United-Trainer Louis van Gaal. „Aber sie haben es verdient.“ Der Niederländer schließt selbst einen Titelgewinn von Leicester City nicht aus: „Ich glaube, das ist möglich.“
Auch Englands früherer Nationalspieler Gary Lineker kann derzeit den Höhenflug des Teams aus dem King-Power-Stadium nicht ganz begreifen. Die englische Sturm-Legende begann seine Karriere bei Leicester und hatte vor Kurzem einen „lächerlichen Traum“, schrieb Lineker bei Twitter. „Träumte, dass Leicester an der Spitze der Premier League steht. Und es fühlte sich so echt an.“