Deutsche Kritik an Katar-WM: Sklavenähnliches System
Nürnberg (dpa) - Im deutschen Fußball formiert sich Widerstand der Spitzenfunktionäre gegen die umstrittene WM 2022 in Katar - von den Profis bis zu den Amateuren.
DFB-Chef Wolfgang Niersbach und Ligapräsident Reinhard Rauball übten beim DFB-Bundestag scharfe Katar-Kritik. Rainer Koch warnte als oberster Amateurvertreter anschließend vor gravierenden Problemen auf deutschen Dorfsportplätzen durch das Mega-Event am Persischen Golf.
Niersbach bezeichnete das umstrittene Championat als „Belastung für den ganzen Fußball“. Rauball wählte noch deutlichere Worte und monierte besonders die fehlende Einhaltung von Menschenrechten in Katar. „Es ist klar, eine WM darf nicht auf einem System aufbauen, das sklavenähnlich ist“, sagte Rauball in Nürnberg.
Der Ligapräsident kritisierte auch die notwendige Umgestaltung der Spielpläne in Europas Spitzenligen wie der Bundesliga durch die Verschiebung der WM in die Wintermonate. „Es ist mehr als ärgerlich, wenn der europäische Vereinsfußball als Reparaturbetrieb für eine offensichtlich falsche Entscheidung herhalten muss“, sagte Rauball.
Dies betreffe auch die Amateure und Jugendfußballer, stellte Koch heraus. „Wir müssen auf jeden Fall eine deutsche Position entwickeln. Alle Ligen sind miteinander verzahnt, auch im Jugendfußball“, sagte der ranghöchste Amateurvertreter im DFB-Präsidium.
Eine Umstellung auf das Kalenderjahr durch eine mögliche Winter-WM 2022 berge viele Risiken für die Fußball-Basis. So könnten auf Dorfsportplätzen Relegationsspiele im November Probleme bereiten. Gerade den Januar könnten die Kommunen wegen der oft schwierigen Witterungsbedingungen nicht für die Platzinstandsetzung nutzen, erläuterte Koch amateurspezifische Schwierigkeiten.
Niersbach erwartet von der FIFA eine Klärung. „Die Vergabe an Katar zieht sehr problematische Kreise“, sagte er. Eine Verlegung wegen des heißen Sommers in Katar in den Winter bezeichnete Niersbach aber als alternativlos. „Die FIFA muss bis zum Jahreswechsel 2014/2015 Antworten geben auf viele brennende Fragen. Dazu gehört auch die politische Einflussnahme“, sagte Niersbach.
Der Weltverband hatte Anfang des Monats beschlossen, bis zum übernächsten Jahr über eine Verlegung in die Wintermonate zu beraten. „Die Auswirkungen werden weltweit spürbar“, sagte Niersbach zu der komplizierten Umgestaltung der Spielpläne der Top-Ligen. Die weiterhin im Raum stehenden Bestechungsvorwürfe sollen durch die Untersuchung der FIFA-Ethikkommission bis zum kommenden Frühjahr aufgeklärt werden.
Niersbach betonte, dass er bis vor kurzem keine Kenntnis über die Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen in Katar gehabt habe. Dort sollen laut Medienberichten allein in diesem Sommer 44 Gastarbeiter aus Nepal gestorben sein. Niersbach kündigte an, sich gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und internationalen Gewerkschaftern an die FIFA zu wenden, um die Vorwürfe zu untersuchen. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) begrüßte die DFB-Ankündigung und forderte von der FIFA, in den WM-Austragungsorten Maßstäbe für menschenwürdige Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger will sich in der kommenden Woche bei FIFA-Präsident Joseph Blatter dafür stark machen, dass die Menschenrechtsfrage in der FIFA „stärker institutionalisiert“ werde - also in den 209 Mitgliedsverbänden der FIFA und bei Großevents. „Überall dort, wo der Fußball aktiv ist, sollte es einen Austausch über Menschenrechte geben“, forderte Zwanziger in den „Kieler Nachrichten“.
Zudem will sich das Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees im November mit Menschenrechtsorganisationen und Vertretern des Europäischen Parlaments treffen, um über die Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen zu sprechen.