„Die Unglaublichen von King Claudio“: Leicester feiert
London (dpa) - Als das Fußball-Märchen Realität geworden war, fielen die Helden von Leicester im Wohnzimmer von Torjäger Jamie Vardy wie kleine Kinder übereinander her. Robert Huth und Co. schrien, kreischten und sprangen wild durcheinander.
„Die Jungs standen auf den Möbeln. Ich hoffe, in seinem Haus ist alles heil“, sagte Kapitän Wes Morgan, als er nach einer Party-Nacht zum Training erschien. Tausende Fans waren am Montagabend vor das King Power Stadium geströmt und tanzten und sangen bis in den Morgen.
Hupkonzerte erfüllten die Stadt in Mittelengland, euphorisierte Anhänger feierten den besten Tag ihres Lebens. Die deutschen Weltmeister Lukas Podolski, Bastian Schweinsteiger oder Toni Kroos gratulierten, Fußball-Legenden wie Gary Lineker verneigten sich. Selbst in den USA schaffte es der neue englische Meister Leicester City auch bei der ehrwürdigen „New York Times“ ganz nach vorn.
„Leicesters Krönung ist die großartigste Fußballgeschichte aller Zeiten“, schrieb das Boulevardblatt „The Sun“, für den „Daily Mirror“ sind die Profis „Die Unglaublichen“. Nur einer fehlte bei der Meistersause: Trainer Claudio Ranieri hatte schon vorher angekündigt, seine 96 Jahre alte Mutter in Italien besuchen zu wollen. Auf die Frage, wo genau das sei, hatte er einem Reporter geantwortet: „Das werde ich Ihnen nicht sagen. Sie sind bestimmt ein Latin Lover.“
Die italienischen Zeitungen „Corriere dello Sport“ und „La Gazzetto dello Sport“ tauften Ranieri „King Claudio“. Der 64-Jährige ist der Architekt des kleinen Wunders. Und er hat oft gute Laune. Das scheint sich in dieser historischen Saison auf sein Team ausgewirkt zu haben.
Begonnen hat es damit, dass der Italiener das Team bei seinem ersten Spiel als Trainer im Sommer 2015 mit einem Rocksong auf das Match einstimmte. Leicester City gewann damals mit 4:2 gegen Sunderland. Das Lied stammte von Kasabian, einer Band aus der Stadt. Die Musiker teilten später mit, das zu wissen, sei ihnen mehr wert als alle Preise, die sie bisher gewonnen hätten.
„Ich fühle mich gut, wie Sie sich vorstellen können“, sagte Ranieri bei seiner Rückkehr aus der Heimat. „Wenn ich diesen Titel zu Beginn meiner Karriere gewonnen hätte, hätte ich ihn vielleicht vergessen. Jetzt bin ich ein sehr, sehr alter Mann und kann es viel mehr genießen.“
Arm in Arm hatten seine Spieler am Abend zuvor die letzten Minuten vor dem Bildschirm gestanden. Als Schiedsrichter Marc Clattenburg die Partie zwischen dem FC Chelsea und Tottenham Hotspur (2:2) abpfiff, war eine der größten Sensationen im Weltfußball vollbracht. „Was für eine unglaubliche Leistung über die gesamte Saison hinweg“, twitterte DFB-Kapitän Schweinsteiger. „Großer Glückwunsch an Leicester City. Was für eine Geschichte“, schrieb Real-Madrid-Profi Kroos.
Schon seit Tagen waren die ganze Stadt und das Umland im Leicester-Fieber. Schaufenster waren in blau und weiß, den Farben des Vereins, geschmückt. Die Kathedrale wurde nachts blau angestrahlt. Ranieri war es gelungen, sich die Unterstützung einer ganzen Region zu sichern. Mit diesem Rückenwind wuchsen seine Männer Spiel für Spiel über sich hinaus. Der Trainer traf hervorragende taktische Entscheidungen: Mit einer beinahe unüberwindlichen Abwehr und blitzschnellen Kontern ließ Leicester seine Gegner oft alt aussehen.
Doch den unbedingten Willen zum Sieg in einer Mannschaft, die ohne große Stars auskommt, musste Ranieri mit psychologischen Tricks aus seinen Spielern herauslocken. Der Erfolg ist also kein Wunder, sondern das Ergebnis harter Arbeit und einer klugen Strategie, die über das Geschehen auf dem Spielfeld hinausgeht.
Doch lässt sich das auch noch einmal reproduzieren? Wird sich der Verein den Begehrlichkeiten anderer Clubs auf die Schlüsselspieler erwehren können? Aiyawatt Srivaddhanaprabha, der Sohn des Leicester-Vorsitzenden, gab dazu bereits eine Antwort: „Wir wollen keinen einzigen verkaufen.“ Alle Spieler wollten bei Leicester City bleiben, um zu sehen, wie weit sie noch kommen können.
Erst einmal wird die Party in Leicester wohl noch weitergehen. Zwei Spiele stehen noch aus - und jedes wird zum Triumphzug für den Überraschungsmeister. Die Rockband Kasabian hat angekündigt, am 28. Mai ein Konzert vor 30 000 Fußballfans im King Power Stadium zu geben. Peter Schmeichel, fünfmaliger englischer Meister mit Manchester United und Vater von Leicester-Torwart Kasper Schmeichel, änderte sein Twitter-Profil: „Vater eines Premier-League-Siegers“.