Die WM-Fieberkurve steigt - Los-Show in Costa do Sauípe
Costa do Sauípe (dpa) - Die Vorfreude auf die Traum-WM am Zuckerhut machte Joseph Blatter zum Philosophen und Schwärmer. Der Fußball, so referierte der FIFA-Präsident kürzlich, bekam von den Engländern zwar seinen Körper, in Brasilien aber bekam er seine Seele.
Mit der Mega-Show zur Auslosung der Vorrundengruppen am 6. Dezember (17.00 Uhr/MEZ) im Badeort Costa do Sauípe wird der Weltmeisterschaft 2014 im Land des Rekordchampions richtig Leben eingehaucht. „Nach der Auslosung nimmt das Ganze wahre Gestalt an, auch für die Spieler, wenn sie wissen, das sind unsere Gegner, das ist unsere Gruppe, das ist der mögliche weitere Turnierverlauf. Dann wird diese WM noch konkreter“, sagte Joachim Löw.
Für den Bundestrainer hängt von der Zeremonie in einer eigens errichten Auslosungshalle unweit des Atlantikstrandes viel ab auf dem Weg zum so heiß ersehnten Titel mit der deutschen Nationalmannschaft. Noch größer ist die emotionale Aufregung im Gastgeberland Brasilien. 64 Jahre musste zwischen Porto Alegre und Manaus auf eine Heim-WM gewartet werden. Und das Trauma vom 1950 gegen den kleinen Nachbarn Uruguay verspielten WM-Titel - nach dem legendären Spielort Maracanã genannt Maracanãzo - sitzt heute noch tief.
Luiz Felipe Scolari hat die Seleção um Superstar Neymar und die Bundesliga-Profis Dante vom FC Bayern München und Luiz Gustavo vom VfL Wolfsburg auf Kurs gebracht. Hexacampeão - Titel Nummer sechs - ist das geforderte Minimum. Der 65 Jahre alte Nationaltrainer Scolari, WM-Sieger von 2002, hat seine bislang praktizierte Zurückhaltung aufgegeben. „Wir werden Weltmeister“, sagte er unverblümt nach dem 5:0-Sieg gegen Honduras in Miami am 16. November.
Das traut sich Löw nicht, und so deutlich hatte auch Scolari das bislang noch nie ausgesprochen. Doch korrespondiert die Aussage mit der hoffnungsvollen Stimmung der Brasilianer, die spätestens seit dem Titelgewinn beim Confederations Cup mit Ver- und Bewunderung auf ihre Seleção blicken. Das war vor einem Jahr ganz anders, als die wenigsten im Land die Chance für einen Sieg bei der WM sahen.
Der Run auf die WM-Tickets ist jedenfalls enorm. In nur wenigen Stunden hatten sich Fußball-Fans aus aller Welt bei der zweiten Verkaufsphase mehr als 200 000 Tickets gesichert. Die Frist war eigentlich auf 17 Tage angelegt. Aber bereits nach sieben Stunden waren nach FIFA-Angaben die begehrten Tickets für 57 Spiele nach dem „First-come-First-Serve“-Prinzip weg. Insgesamt sind bereits mehr als eine Million Eintrittskarten vergeben, nachdem bei der ersten Ziehung 889 305 Eintrittskarten zugeteilt worden waren, davon 18 019 nach Deutschland. Insgesamt werden zur WM drei Millionen Tickets verkauft.
Die Fans müssen sich zur WM auf gesalzene Preise bei Hotels gefasst machen, auch wenn die Regierung versprach, keine Wucherpreise zu dulden. Vielerorts liegen die Preiserhöhungen pro Übernachtung noch auf 300 Prozent über dem Normalniveau. Probleme werden auch bei den notwendigen Inlandsflügen erwartet. Viele Flughäfen waren noch im Confed-Cup-Sommer Riesenbaustellen. Die Logistik machte selbst in einer Millionenmetropole wie Belo Horizonte, wo ein Halbfinale stattfinden wird und die Seleção zweimal antreten soll, Probleme.
Auch die Mannschaften wissen um die Distanzen im Riesenland Brasilien mit unterschiedlichen Klimazonen und langen Flugreisen. Die meisten haben sich - wie das DFB-Team - noch nicht auf ein WM-Quartier festgelegt. „Wer die Bedingungen nicht annimmt, hat schon verloren“, warnte Löw.
Die Ängste über Verzögerungen beim Stadienbau sind weitgehend gewichen, auch wenn die meisten Bauten deutlich teurer als geplant werden. Sechs Stadien waren schon zur WM-Generalprobe im Sommer 2013 spieltauglich fertiggestellt, einige allerdings, wie Rios Maracanã oder die Arena Pernambuco in Recife, mit heftiger Verspätung. Es fehlen noch die anderen sechs, darunter das Eröffnungsstadion, die Arena Corinthians in São Paulo. Wenige Tage vor der Auslosung kam es auf der Baustelle zu einem schweren Unglück. Das Dach des Stadions stürzte teilweise ein, zwei Arbeiter starben. Ob die Fertigstellung der Arena gefährdet ist, war zunächst unklar.
Größte Sorge der FIFA und von Brasiliens Politik ist aber Volkes Wille. Entgegen aller Erwartungen machte sich beim Confed Cup der Unmut im Land über Preiserhöhungen und Korruption Luft. Das Fußball verrückte Brasilien präsentierte Bilder von Massenprotesten und Gewalt von Demonstranten wie von Sicherheitskräften. Mediale Prügel steckte dafür die FIFA ein, die im Brennglas der Missstände keine gute Figur abgab und reichlich Mühe hatte, ihr Hochglanzprodukt zu schützen. Eine Wiederholung im Sommer 2014 wäre für den Weltverband ein WM-PR-Desaster.
Farbenfrohe Bilder aus Costa do Sauípe sind deshalb nun auch besonders wichtig. Für Löw und seine 31 Trainerkollegen gehen aber die Blicke auf die Lostöpfe. Und wie so oft ist die Prozedur umstritten. Erstmals setzte die FIFA die acht Gruppenköpfe streng nach Weltranglisten-Kriterien. Neben Großmächten wie Brasilien, Spanien, Argentinien, Deutschland oder Uruguay schafften somit auch Belgien, Kolumbien und die Schweiz durch ihre gute Quali-Runde den Sprung in den Topf der Besten.
Die Konsequenz: Andere Großkaliber mit mehr WM-Historie wie Vize-Weltmeister Niederlande oder 2006-Champion Italien wandern in die Regionaltöpfe und könnten frühe deutsche Kontrahenten werden. Im schlimmsten Fall droht dem DFB-Team bei der Zeremonie mit Lothar Matthäus, Zinédine Zidane und sechs weiteren Lospaten zum Beispiel eine Gruppe mit Italien, der Elfenbeinküste und den USA. Wenn's besser läuft für Löw und Co. ist aber auch eine Konstellation mit Griechenland, Algerien und Australien möglich. Letzteres würde Löws Fußball-Seele vor der Reise ins WM-Traumland im Sommer 2014 sicher gut tun.