FIFA sucht Weg aus der Katar-Falle
Zürich (dpa) - Der Wunsch nach einer Zeitmaschine dürfte bei Joseph Blatter sehr groß sein. Die Reise des derzeit gar nicht allmächtig wirkenden FIFA-Präsidenten ginge wohl zurück zum 2. Dezember 2010, dem Tag, an dem sich die FIFA ihr derzeit größtes Problem selber einbrockte: Die WM 2022 in Katar.
„Es kann gut sein, dass wir einen Fehler gemacht haben“, sagte Blatter kürzlich zum umstrittenen Turnier am Golf. Damit habe er aber nur den Sommer-Zeitpunkt gemeint, nicht das Turnier als solches, schränkte seine Medienabteilung später ein.
Blatter ist jedenfalls nun in der Gegenwart gefordert. Am Donnerstag und Freitag versammelt der Schweizer in der pompösen FIFA-Zentrale in Zürich das Exekutivkomitee des Weltverbandes zu einer turnusmäßigen Sitzung um sich. Doch die umfangreiche Tagesordnung lässt keine Routine zu - sie birgt durch den Tagesordnungspunkt Katar vielmehr sportpolitischen Sprengstoff.
Die Fußballwelt verlangt von der FIFA und auch von Blatter die Antwort, wann das umstrittene Turnier denn nun stattfinden soll: Die Sommervariante ist wegen der hohen Temperaturen praktisch vom Tisch, auch wenn die WM-Organisatoren ihre Stadion-Kühltechnik später politisch korrekt für Ernährungs- und Wassernutzungsprogramme einsetzen wollen. Alle Wintertermine, ob nun im Januar oder November/Dezember 2022, sind extrem umstritten.
Eine von vielen Seiten geforderte und wohl auch vom deutschen FIFA-Exko-Mitglied Theo Zwanziger goutierte Neuausschreibung könnte Blatter im Präsidentschafts-Machtkampf mit seinem Gegenspieler und bekennenden Katar-Freund Michel Platini sogar nutzen. Der Franzose wäre dann als Blatter-Nachfolger im Präsidentenamt nicht mehr vorstellbar. Angesichts des sportpolitischen Flurschadens in der fußballökonomisch mittlerweile maßgeblichen Golfregion ist eine Aberkennung der Gastgeberrolle aber noch undenkbar.
Die um Wortspiele nie verlegenen englischen Medien haben ihre Begriffe schon gefunden: „Qatar-strophy“ (Kata(r)strophe) oder „Qatar-clysm“ (Kata(r)klysmus) wird die Katar-Falle des Weltverbandes mit Untergangsszenarien verglichen. Mit den publik gewordenen Todesfällen von 44 nepalesischen Gastarbeitern auf Baustellen in Katar hat sich die Problematik um eine nicht zu unterschätzende ethisch-moralische Komponente erweitert.
Diese wird in Zürich aber kaum diskutiert werden, wenn die FIFA-Oberen an ihrem Tagesordnungspunkt 25.2. „FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Katar 2022™: Zeitpunkt des Wettbewerbs“ angekommen sind. Für die FIFA ist das Fußball-Business entscheidend und damit eine Klärung der Terminfrage vordringlich.
Die europäischen Fußball-Ligen haben sich mittlerweile formiert. Sie werden die für den Winterplan notwendige Umstellung ihrer Spielpläne nicht einfach akzeptieren. „Wenn die FIFA jetzt einfach, ohne einmal darüber zu diskutieren, die WM in Katar in den Winter verlegt, dann wird das sehr schwierig werden“, sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert. Aus England klingen die Botschaften noch klarer. „No way“, lautete zum Beispiel die Ansage von Englands Premier-League-Boss Richard Scudamore.
Bundesliga und europäische Spitzenclubs warnen die FIFA vor einem Schnellschuss. Unwahrscheinlich ist daher, dass sich im sogenannten Exko bis Freitag eine Mehrheit für den von Platini favorisierten Januar-Termin oder die von Blatter befürwortete Spätherbst-Variante (11. November-11.Dezember) findet. Blatter wird wohl letztlich verkünden, dass der Wille zur Winterverlegung besteht, der genaue Termin aber durch Expertengremien eruiert werden muss.
Der FIFA-Chef ist in der Diskussion in eine für ihn ungewohnte Position zwischen die Fronten geraten, zumal er selbst trotz seiner Freundschaft zum Emir von Katar nie als großer Fan der Golf-WM galt. Aus dem FIFA-Exekutivkomitee, das mit 14:8 für Katar und gegen die USA stimmte, sind mittlerweile neun der damals 22 stimmberechtigten Mitglieder ausgeschieden - die wenigsten davon wie Franz Beckenbauer selbstbestimmt und ohne jeden Korruptionsverdacht. Die Katar-Krise ist für Blatter somit auch eine unliebsame Altlast der skandalumwitterten Zeit.
Ausgerechnet jetzt kündigte nun auch noch ein mehr oder minder gewogener Mitstreiter seinen Rückzug an. Der Antikorruptionsexperte Mark Pieth gibt sein Amt als FIFA-Kontrolleur am Ende des Jahres auf, obwohl noch nicht alle Demokratisierungsziele erreicht sind. „Es sind jetzt in die FIFA unabhängige Governance-Strukturen gepflanzt worden, die aus meiner Sicht funktionieren können“, sagte der Anti-Korruptions-Experte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Doch der sich anbahnenden Machtkampf Blatter gegen Platini schreckt den Juristen wohl: „Ich möchte nicht noch mal in ein großes Jamboree, wo die verschiedenen Fraktionen aufeinander losgehen“, sagte Pieth.