Ex-FIFA-Boss Blatter über WM-Besuch: „Jetzt bin ich hier als Fan“

Moskau (dpa) - Auf Einladung von Wladimir Putin besucht der frühere FIFA-Präsident Joseph Blatter trotz seiner Sperre die Fußball-WM in Russland.

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In Moskau spricht der 82 Jahre alte Schweizer im Interview der Deutschen Presse-Agentur über Drinks mit dem Kremlchef, seine Verbannung, die deutschen WM-Chancen und seine Pläne für Katar 2022.

Frage: Wie sehr haben Sie es vermisst, wieder bei der WM zu sein?

Joseph Blatter: Ich bin gerne gekommen, das hat Emotionen bei mir ausgelöst. Jetzt bin ich hier als Fan und nicht als Präsident der FIFA. Ich finde es toll, dass ich von Russland eingeladen wurde. Ich habe die Chance, durch die Straßen zu flanieren. Die Fans haben nicht lange gebraucht, um mich zu erkennen - und das hat mich sehr gefreut. Als Präsident habe ich das nicht erlebt. Als Präsident wirst du nur herumchauffiert, bist am Rande und kannst vielleicht mal winken.

Frage: Sie waren beim Spiel Portugal gegen Marokko - dabei sind Sie doch eigentlich von der FIFA gesperrt?

Blatter: Ich bin suspendiert so wie ein Trainer, Spieler oder Referee. Aber trotzdem kann so jemand in ein Stadion gehen.

Frage: Sie sind auf Einladung von Wladimir Putin hier, haben Sie ihn schon getroffen?

Blatter: Am Mittwochabend haben wir uns auf einen Smalltalk, ein paar Drinks und Essen im Kreml getroffen. Das war im ganz kleinen Rahmen. Wir haben uns begrüßt und über den 2. Dezember 2010 gesprochen, als er bis zur Vergabe abgewartet hat und dann aus Königsberg nach Zürich gekommen ist. Er erinnerte sich daran, wie die FIFA angerufen hat. Bis zuletzt hatte er damals nicht daran geglaubt.

Frage: Haben Sie auch schon FIFA-Präsident Gianni Infantino getroffen?

Blatter: Nein.

Frage: Fühlen Sie sich willkommen von der FIFA?

Blatter: Die FIFA wusste, dass ich eingeladen bin. Da hätten sie doch sagen können, da laden wir ihn auch ein - das wäre schön gewesen. Begrüßen wäre das Mindeste gewesen. Aber jeder hat seine Ideen.

Frage: Russland wird in vielen Teilen der Welt als Gastgeber angesichts der politischen Hintergründe sehr kritisch gesehen. Wie bewerten Sie die WM bislang?

Blatter: In jedem Land, in dem bislang eine WM stattgefunden hat, gab es viele Themen vorher - vielleicht erinnern Sie sich an Brasilien mit den ganzen Aufständen. Der Fußball ist heiß und macht die Leute etwas nervös. Aber wenn das Spiel dann startet, ist es vorbei. Wichtig war, dass Russland das erste Spiel gewonnen hat. Das hat einen Bumm gegeben. Jetzt läuft es und wenn es so weiterläuft, hat Russland einen besseren Beigeschmack als vorher. Aber ob politsche Probleme durch eine Weltmeisterschaft gelöst werden, glaube ich kaum.

Frage: Sportlich hat die WM bislang einige Überraschungen gebracht. Wie sehr muss Deutschland nach der Niederlage gegen Mexiko um das Weiterkommen bangen?

Blatter: Ich stimme mit Mats Hummels überein. In der Defensive hätte Deutschland drei, vier Tore bekommen können. Aber die Mexikaner haben Angst vor dem Torhüter bekommen. Die konnten durchlaufen, die Flanken waren nicht geschützt. Aber Deutschland wird die zwei Spiele gewinnen, ganz sicher - die gehen weiter.

Frage: Sie sind ein Kritiker des Videobeweises. Bislang funktioniert das System hier vergleichsweise gut - wie sehen Sie es?

Blatter: Der Videobeweis hat einen Schönheitsfehler: Der Oberschiedsrichter ist immer ein anderer. Es müsste aber immer dieselbe Gruppe sein, die das analysiert. Die Südamerikaner, die Asiaten, einige Europäer spielen das Spiel anders. Es gibt ja keine genaue Regel, der Schiedsrichter muss sie auslegen. Der Oberschiedsrichter sollte immer der gleiche sein, wie bei einem Gericht. Es sollte immer derselbe Richter sein.

Frage: Nach dem Videoschiedsrichter hat FIFA-Chef Gianni Infantino bereits die nächsten Ideen: Es kommt die WM mit 48 Teilnehmern. Was denken Sie darüber?

Blatter: 48 Teams ist ein zu großes Feld, auch schon vom Spielplan her. In Dreiergruppen kann man nicht spielen. Das haben in der Zwischenzeit sogar die Mathematiker herausgefunden. Es ist ein Volumen geworden, dass ein Land das alleine nicht mehr machen kann. Das ist dann auch eine Frage der Qualität des Spiels. Aber das ist die Zukunft.

Frage: Der Deutsche Fußball-Bund bewirbt sich gerade um die EM 2024. Aber wäre auch Deutschland wieder ein Land, das auch eine WM mit 48 Teilnehmern alleine ausrichten könnte?

Blatter: Deutschland kann alles, ehrlich.

Frage: Wollen Sie auch noch einmal die WM 2022 in Katar besuchen?

Blatter: Wenn meine Gesundheit so bleibt - ja. Katar ist in vier Jahren, da bin ich ein guter Mit-Achtziger, das geht.

ZUR PERSON: Joseph Blatter (82) wurde 1998 FIFA-Präsident und gab im Juni 2015 bekannt, dass er sein Mandat 2016 niederlegen wolle. Zuvor wurde der Schweizer jedoch wegen einer dubiosen Zahlung an UEFA-Präsident Michel Platini aus dem Jahr 2011 für sechs Jahre gesperrt.