Magie im Maracanã: Brasilien träumt jetzt vom WM-Pokal
Rio de Janeiro (dpa) - Die Fans rissen Luiz Felipe Scolari fast die graue Trainingskleidung vom Leib, als sich der 64-Jährige mühsam den Weg zur Ehrentribüne für die Pokalübergabe bahnte. Sie tätschelten seine Halbglatze und hauten ihm auf die Schultern, dass er in die Knie ging.
378 Tage vor dem Weltmeisterschafts-Finale im Maracanã hat der Nationaltrainer Brasilien mit der Seleção den Glauben an einen Triumph 2014 zurückgegeben. Hexacampeão! Der mögliche sechste WM-Erfolg versetzt den Rekord-Weltmeister in Ekstase. 73 581 euphorische Zuschauer in der legendären Arena in Rio de Janeiro feierten im Finale des Confed Cups das neue Traumteam um Stürmerstar Neymar für den grandiosen 3:0 (1:0)-Sieg über WM-Titelverteidiger Spanien.
„Wir wissen, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben, um das Niveau anderer Mannschaften wie Spanien, Deutschland und Argentinien zu erreichen“, meinte Scolari, nachdem seine Mannschaft am Sonntagabend die Serie von 29 Pflichtspielen ohne Niederlage der in den vergangenen Jahren so überragenden Spanier beendet hatte, und ergänzte vorsichtig: „Brasilien hat bewiesen, dass wir es schaffen können. Der Sieg weist uns einen Weg. Die Mannschaft kann nun daran glauben, 2014 den Titel zu holen.“
Nachdem David Luiz minutenlang auf dem Rasen zu einem Gebet niederkniete und Dante seine Mitspieler mit einer Schellentrommel zum Tanz animierte, räumten die Brasilianer die Auszeichnungen gleich haufenweise ab: Kapitän Thiago Silva reckte den Confed-Cup-Pokal in die Höhe, der dem WM-Pokal schon mal ein bisschen ähnelt. Neymar schleppte den Goldenen Ball als bester, Paulinho die bronzene Ausführung als drittbester Turnierspieler davon, Fred den Silbernen Schuh als zweitbester Torschütze, und Julio Cesar zeigte stolz die Trophäe als stärkster Torhüter.
„Ich bin glücklich über alles, was in diesem Turnier passiert ist“, meinte Neymar nach seinem steilen Aufstieg vom Toptalent des FC Santos zum Volkshelden. „Brasilien hat der Welt gezeigt, dass man es respektieren muss. Das war ein großartiger Sieg gegen die beste Mannschaft der Welt, der zeigt, was für ein tolles Team wir sind.“
Magische Momente im Maracanã. Beim dritten Confed-Cup-Sieg hintereinander nach 2005 in Deutschland und 2009 in Südafrika staunte die Fußball-Welt über die Brasilianer. Der schlafende Riese ist unter Scolari erwacht und bescherte Spanien einen Albtraum. Stürmer Fred kickte den Ball im Liegen nach nur 95 Sekunden ins Tor des Weltmeisters. Da erbebte die Arena zum ersten Mal und man konnte erahnen, was hier nächstes Jahr los sein würde, wenn Brasilien im WM-Endspiel stehen sollte. Neymar, der 57-Millionen-Einkauf des FC Barcelona, knallte den Ball in der 44. Minute wie im Lehrfilm in den Winkel. Erneut Fred (47.) erhöhte auf 3:0. Was für eine Show!
„Wir müssen viel lernen. Wir werden an diesen Spielern festhalten und ein oder zwei hinzufügen“, sagte Scolari und bedankte sich wie nach jedem Sieg mit herzlichen Worten beim Publikum und meinte stolz: „Heute haben wir die Sehnsucht Brasiliens repräsentiert und Brasilien würdevoll vertreten.“
Der Ansicht war auch Staatspräsidentin Dilma Rousseff, die beim Eröffnungsspiel gnadenlos ausgebuht worden war und diesmal nicht im Stadion war. Sie sprach von einem „historischen Tag für den brasilianischen Fußball“. Die Spieler hätten „Freude, Kreativität, Teamgeist und Einigkeit“ gezeigt, alle Brasilianer erobert und der Welt ein großes Spektakel geboten. Den Siegerpokal an die Seleção überreichten FIFA-Chef Joseph Blatter und Sportminister Aldo Rebelo.
Spaniens einstige WM-Helden schauten mit traurigen Augen zu. „Wir akzeptieren diese verdiente Niederlage. Wir werden sie genau analysieren müssen“, sagte Trainer Vicente del Bosque. Nichts war's mit Tiki Taka. Sergio Ramos setzte sogar einen Strafstoß am Tor vorbei (54.), Gerard Pique (68.) sah nach einem Foul an Neymar die Rote Karte.
In den Katakomben des Stadions wurde es ganz still, als Andrés Iniesta mit gesenktem Haupt an den Journalisten vorbeiging. Mit Getrommel, Tanz und Gesang kam Dante als einer der letzten Brasilianer aus der Kabine. Der Abwehrchef des FC Bayern hatte zwar ebenso wie sein Münchner Kollege Javiér Martínez bei Spanien auf der Bank gesessen, doch davon ließ sich der Spaßvogel nicht die Laune verhageln. „Wir wussten, wann wir gewinnen heute, das ist ein bisschen nix viel, aber Selbstvertrauen für uns“, radebrechte der 29-Jährige auf Deutsch und meinte grinsend: „Ich habe meine fünfte Titel: Supercup, Meisterschaft, Pokal, Champions League und heute.“
Luiz Gustavo war als einziger der drei Münchner Bundesligaspieler zum Einsatz gekommen und fegte zusammen mit Paulinho gegen Iniesta, Xavi und Co. durchs Mittelfeld, als gäbe es dafür bereits den WM-Pokal.