Nichts geht mehr: Skandal lähmt Süper Lig

Istanbul (dpa) - Aufruhr im türkischen Fußball: Ein gigantischer Bestechungsskandal stellt die Süper Lig auf den Kopf. Meister Fenerbahçe droht gar der Zwangsabstieg. Aber, sagen Experten, der Skandal bietet auch die Chance für einen Neuanfang.

Mehr als 60 Spieler und Funktionäre verhaftet, Supercup verschoben, Liga-Start ungewiss: Rund zwei Wochen vor dem geplanten Saisonbeginn wird die Liga von einem Bestechungsskandal erschüttert, der ersten Erkenntnissen der türkischen Staatsanwaltschaft zufolge gigantische Ausmaße hat.

„Der Schock ist allgegenwärtig spürbar“, sagte der frühere Bundesligaschiedsrichter und jetzige Fußballexperte im türkischen Fernsehen, Markus Merk. „Es ist, als würde Uli Hoeneß in Untersuchungshaft gesteckt und Jürgen Klopp von der Polizei verhört“, schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Mindestens 20 Partien aus der vergangenen Spielzeit stehen unter Manipulationsverdacht. Mehrere Erstligaclubs, darunter auch Besiktas und Fenerbahçe Istanbul sowie Trabzonspor, sind in den Skandal verwickelt - ihnen droht der Zwangsabstieg. Spieler und Funktionäre sollen mit hohen Summen dazu verleitet worden sein, den Ausgang der Spiele in eine bestimmte Richtung zu drehen. Teilweise hätten sich verschiedene Geldgeber sogar gegenseitig überboten. Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft unter dem Titel „Saubere Stollen“ - bis zum 1. August will sie Ergebnisse vorlegen.

Der für den 31. Juli geplante Supercup zwischen Meister Fenerbahçe und Pokalsieger Besiktas wurde vorsichtshalber auf unbestimmte Zeit verschoben. Ob Fenerbahçe den Titel behalten darf, ist derzeit genauso unklar wie der Starttermin der Liga. „Der Anpfiff ist für den 5. August geplant, bleibt aber ungewiss“, sagt Merk, der nach eigenen Angaben täglich in Kontakt mit Verantwortlichen des türkischen Fußballs steht.

Auch welche Mannschaften die europäischen Wettbewerbe antreten dürfen, bleibt unklar. Nach einem Treffen mit Vertretern des Türkischen Fußballverbandes (TFF) in der vergangenen Woche teilte die UEFA lediglich mit, sie habe vollstes Vertrauen, dass der TFF „so schnell wie möglich die notwendigen Schritte unternehmen“ werde. Für den Europacup würden nur Vereine nominiert, „die es sich sportlich verdient haben.“

Besonders im Fokus der staatsanwaltlichen Ermittlungen steht die Partie des späteren Meisters Fenerbahçe gegen den zentralanatolischen Verein Sivasspor. Fenerbahçe siegte im Mai 2011 mit 4:3 und sicherte sich damit den Titel - auch dank eines groben Patzers von Sivasspor-Torhüter Korcan Celikay, der einen harmlosen Fernschuss zwischen seinen Beinen durchkullern ließ.

Die Staatsanwaltschaft glaubt nicht an einen Torwart-Patzer. Celikay wurde verhaftet, ebenso wie die Präsidenten von Sivasspor und Fenerbahçe. Der Vorwurf: Fenerbahçe-Chef Aziz Yildirim, ein reicher Bauunternehmer, soll seinem Verein die Meisterschaft gekauft haben. Der Club bestreitet das. „Jeder soll wissen, dass Fenerbahçe niemals irgendwelche illegalen Aktivitäten unternommen hat und auch niemals wird“, heißt es in einer Erklärung. „Wir sind stolz auf unsere saubere und siegreiche Vergangenheit.“

Aber auch Ex-Bundesligatrainer Christoph Daum, lange Jahre Coach bei Fenerbahçe, sagte in einem Interview dem Kölner „Express“, ihn habe dort manchmal das „das Gefühl von Manipulationen“ beschlichen. „In der Türkei gehören Verdächtigungen und Unterstellungen zum Alltagsboulevard“, bestätigte Experte Merk.

Der aktuelle Skandal biete deshalb aber auch eine Chance für die derzeit völlig gelähmte Süper Lig. „Dass seit Monaten recherchiert wird, zeigt klar, dass die Zeiten des Stillschweigens vorbei sind“, sagte Merk. Gerüchte und Verdächtigungen gäbe es schon lange, aber jetzt machten die Aufklärungen der Staatsanwaltschaft erstmals keinen Halt mehr vor großen Persönlichkeiten des türkischen Fußballs. „Noch vor Wochen wäre dies undenkbar gewesen. Es besteht die einmalige Chance auf einen Neuanfang.“