Schwul, türkisch, unparteiisch: Dincdag verklagt Verband
Berlin (dpa) - Er hat keine Angst, sagt Halil Dincdag. „Nicht mehr. Schlimmer kann es ja nicht werden.“ Dincdag ist Türke, er ist schwul, er ist Schiedsrichter. Und er wurde aus dem Türkischen Fußballverband (TFF) ausgeschlossen.
Deshalb verklagt Dincdag den Verband auf Schmerzensgeld und Schadenersatz. Und er will wieder offizieller Schiedsrichter sein dürfen. Dincdag ist ein kleiner Mann mit einem ordentlichen Bart, einer schlichten schwarzen Brille und schmalen Schultern. „Ich denke, dass ich gewinne. Und dann wird es für alle leichter“, sagt der 38-Jährige und setzt sich aufrecht hin. „Dafür kämpfe ich bis zu meinem letzten Atemzug.“ In den letzten Tagen ist er deshalb wieder durch Deutschland gereist und hat seine Geschichte erzählt, die vor fünf Jahren begann. Am 27. November bekommt sie ein neues Kapitel, wenn der 14. Verhandlungstag ansteht.
Drei Tage vorher hatte Dincdag Grund zur Freude: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit überreichte ihm am Montag den „Respektpreis“ des Bündnisses gegen Homophobie. Und Halil Dincdag widmete die Auszeichnung seiner im Vorjahr gestorbenen Mutter.
Dincdag hat in Trabzon mehr als zehn Jahre als Schiedsrichter gearbeitet, bis zur zweiten Liga. Dann musste er 2008 zum Militär. Er hatte viel darüber gehört, wie schwule Männer in dem hierarchischen System behandelt werden. „Misshandlungen, Vergewaltigungen, es gab Selbstmorde danach“, zählt er leise auf. Um ausscheiden zu können, outete er sich vor den Ärzten. Wochenlang untersuchte man ihn, auch in einem Militärkrankenhaus, wo er in einem Zimmer mit Schizophrenen untergebracht wurde. Schon oft haben Menschenrechtsorganisationen kritisiert, die türkische Armee stufe Homosexualität als psychische Störung ein und erniedrige Männer bei der Ausmusterung.
Nach drei Monaten wurde Dincdag ausgemustert. Im Gutachten stand als Grund: „psychosexuelle Störung“. Kurz darauf wurde Dincdags Anstellung beim Verband nicht verlängert - offiziell wegen mangelnder Qualität. Der TFF war gegenüber der dpa zunächst nicht zu einer Stellungnahme bereit. Dincdag legte Einspruch ein gegen den Ausschluss. Kurz darauf stand die Geschichte in einem Sportmagazin. Ohne seinen Namen, doch Dincdag fürchtete, die Medien würden ihm keine Ruhe lassen, bis sie ihn fänden. Er outete sich im Fernsehen.
Danach verlor er auch seinen Job als Radiomoderator. 150 Bewerbungen hat er seitdem geschrieben - keine einzige Zusage gab es. Viele Freunde haben sich von ihm abgewandt, er hat Morddrohungen bekommen, ist aus der Kleinstadt Trabzon in die Metropole Istanbul geflohen. Dort ist er wieder Schiedsrichter, in einer inoffiziellen Liga. Wie lange es die noch geben wird, weiß er allerdings nicht.
Dennoch: Er hat neue Freunde gefunden. Seine Familie, die von seiner Homosexualität nichts wusste, unterstützt ihn, auch finanziell. Bis vor fünf Jahren habe er auf seinen Schultern „ein riesiges Gebirge gehabt“, sagt Dincdag. „Danach war ich leicht wie ein Vogel.“
Seine Offenheit ist nun ein Glück, ein Werkzeug für eine deutsche Gesellschaft, die selbst noch viele Strukturen aufzubrechen hat. „Über wie viele geoutete Menschen im Sport können wir denn reden, die selbst darüber reden wollen?“, fragt Christian Rudolph von der Initiative „Fußballfans gegen Homophobie“. „Da gibt nur Corny Littmann, Thomas Hitzlsperger. Jemand mit so einer Geschichte wie Halil sensibilisiert uns.“
Ein deutscher schwuler Unparteiischer würde zwar nicht vom Fußball-Bund ausgeschlossen werden. „Aber gesellschaftlich stünde auch hier immer noch ein Fragezeichen“, sagt Rudolph. Die Initiative wolle zeigen, dass Dincdag auf dem richtigen Weg ist - und seine Geschichte über den Sport hinausgeht.
Halil Dincdag sagt: „Am Anfang war es mein persönliches Problem, meins allein.“ Dann seien die Anrufe gekommen, die Mails und Briefe von anderen schwulen türkischen Schiedsrichtern, von Sportlern, die von ihren Erfahrungen berichteten, die sich Hilfe von ihm erhofften. „Und da habe ich gemerkt: Das ist nicht mehr nur allein meine Sache.“