Spanien trauert um Erfolgstrainer Aragonés
Madrid (dpa) - Für die einen galt er als Rabauke, für die anderen als ein alter Kauz - geliebt haben sie ihn fast alle in Spanien: Die Fußball-Nation trauert um ihren Erfolgstrainer Luis Aragonés.
Der Coach, der die spanische Nationalelf 2008 im Finale gegen Deutschland zum Gewinn der Europameisterschaft geführt hatte, starb in einer Madrider Klinik im Alter von 75 Jahren an einem Leukämie-Leiden, das sich zuletzt verschlimmert hatte. Fußballstars wie Xavi, Andrés Iniesta, Cesc Fàbregas oder Carles Puyol, sein früherer Schützling Bernd Schuster und die Präsidenten der großen spanische Clubs erwiesen ihm am Sonntag die letzte Ehre. Wie der staatliche Rundfunk RNE berichtete, wurde Aragonés im engsten Familienkreis in Tres Cantos bei Madrid beigesetzt.
Mit dem Triumph bei der EM in Österreich und der Schweiz hatte Aragonés der Trainer den Beginn einer neuen Ära im spanischen Fußball eingeleitet. Der 1:0-Sieg im Finale von Wien über die DFB-Elf von Joachim Löw verhalf der Selección erstmals seit 44 Jahren zu einem bedeutenden internationalen Titel. Das von Aragonés aufgebaute Team bildete den Grundstein für die Elf, die unter dem Nachfolger Vicente del Bosque den Weltfußball dominierte und 2010 die Welt- sowie 2012 erneut die Europameisterschaft gewann.
„Luis war eine Schlüsselfigur in der Geschichte des spanischen Sports“, sagte Del Bosque über seinen Vorgänger. „Er war es, der den Weg zur Erfolgs-Ära der Nationalelf eingeschlagen hatte.“ König Juan Carlos, Königin Sofía, Kronprinz Felipe und Prinzessin Letizia würdigten die Verdienste des weißhaarigen Mannes um den Sport.
Vor den Spielen am Wochenende in der Primera Division wurde ihm zu Ehren eine Gedenkminute eingelegt. Stürmer Fernando Torres, Sieg-Torschütze im EM-Finale 2008, twitterte: „Danke Trainer, ich kann Ihnen nicht genug danken für das, was Sie für mich taten.“ Nach dem EM-Gewinn 2008 war der Vertrag von Aragonés nicht verlängert worden. Später räumte der Trainer ein, dass er gerne im Amt geblieben wäre, wenn der spanische Verband (RFEF) ihn darum gebeten hätte.
Er war ein rauer Typ und ein Trainer der alten Schule. In seinem Trainingsanzug an der Seitenlinie wirkte er beinahe wie ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Von Maßanzug und Krawatte wollte er nichts wissen, für den modischen Schnickschnack seiner Kollegen hatte er wenig übrig. Als er 2004 im Alter von 66 Jahren den Posten des Nationaltrainers erhielt, schien dies eine Art von Vorruhestandsprämie zu sein.
Ausgerechnet diesem Oldtimer gelang eine kleine Revolution in der Selección. Aragonés bootete Spaniens Fußball-Idol Raúl aus, verjüngte das Team und ließ die Nationalelf einen technisch versierten und attraktiven Kombinationsfußball spielen. Er gilt auch als der Erfinder von „La Roja“. Zwar hatte die Nationalelf seit Jahrzehnten in roten Trikots gespielt, aber niemand war auf die Idee gekommen, sie als „die Rote“ zu bezeichnen - vermutlich weil manche Spanier die Bezeichnung mit den Kommunisten in Verbindung brachten. Aragonés hielt vor der WM 2006 in Deutschland die Zeit für gekommen, die rote Farbe zum Markenzeichen des Nationalteams zu machen.
Zwei Jahre zuvor hatte er für einen Skandal gesorgt, als er im Training den Arsenal-Spieler Thierry Henry als „Scheißneger“ bezeichnete. Aragonés wurde Rassismus vorgehalten, er wies die Vorwürfe aber zurück und sagte, er habe damit lediglich seinen Stürmer José Antonio Reyes motivieren wollen. Diplomatie und Takt gehörten nicht zu seinen Stärken. Im Ausland haftete Aragonés der Ruf eines Rabauken an, die Spanier schätzten ihn dagegen als einen Kauz, dem das Gespür für den Umgang mit der Öffentlichkeit fehlte.
Vor seiner Ernennung zum Nationaltrainer hatte der aus dem Madrider Stadtteil Hortaleza stammende Coach acht Vereinsmannschaften trainiert, darunter Atlético Madrid und den FC Barcelona, und in rund 700 Erstligaspielen auf der Bank gesessen. Aufgrund seiner reichen Erfahrung wurde er „El Sabio de Hortaleza“ („der weise Mann aus Hortaleza“) genannt. Als Vereinstrainer wurde er einmal spanischer Meister und gewann viermal den Pokal.
Als Aktiver spielte Aragonés elfmal für die Nationalelf. Im legendären Europacupfinale 1974 schoss er Atlético gegen Bayern München in der Verlängerung in Führung. Kurz vor dem Abpfiff erzielte Hans-Georg Schwarzenbeck mit einem Verzweiflungsschuss den Ausgleich. „Beim Ansehen des Videos schalte ich ab, sobald Schwarzenbeck kommt“, berichtete Aragonés einmal. Das Wiederholungsspiel verloren die Madrilenen gegen Franz Beckenbauer & Co. mit 0:4. Kurz darauf trat der Stürmer seinen ersten Trainerjob bei Atlético an. „In meiner ersten Amtshandlung gab ich meinen Ex-Mitspielern die Anweisung, dass sie mich nun mit 'Sie' anreden mussten“, erinnerte sich Aragonés.