„Überlebenskünstler“ Blatter und Platini im Visier
Zürich (dpa) - Trotz Ermittlungen durch die FIFA-Ethiker klammert sich Joseph Blatter verzweifelt an seine brüchige Macht.
Auch am zweiten Tag nach dem Beben ließ der öffentlich geforderte Rücktritt auf sich warten, dafür müssen sich der wankende Präsident und Michel Platini nun vor der Ethikkommission des Fußball-Weltverbands verantworten. Die Untersuchungskammer ermittelt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur die Hintergründe der Millionen-Zahlung von Blatter an den heutigen UEFA-Chef Platini - über eine mögliche Suspendierung wird gewöhnlich binnen Tagen entschieden.
Sowohl ein vorläufiges Amtsverbot gegen Blatter als auch Konsequenzen für Europa-Verbandschef Platini, der von den Schweizer Behörden bislang als „Auskunftsperson“ geführt wird, würde die Fußball-Welt erneut massiv erschüttern. Ein vorzeitiges Abdanken Blatters aus eigenem Antrieb stehe jedoch „nicht zur Diskussion“, sagte sein früherer persönlicher Berater Klaus J. Stöhlker der „Schweiz am Sonntag“. Bis Ende Mai unterstützte der PR-Stratege Blatter bei dessen Wiederwahl. „Der Präsident hat nicht die geringsten Sorgen. Er ist guten Mutes.“
Die bislang letzten Bilder des vermeintlich unangreifbaren 79-Jährigen vermittelten jedoch einen anderen Eindruck. Nach dem schwärzesten Tag der Amtszeit war sein Büro auf dem Zürichberg auch am späten Abend noch hell erleuchtet, ohne Krawatte stand Blatter leicht vornübergebeugt hinter dem Schreibtisch.
Ein dauerhafter Verbleib im Amt dürfte dem „Überlebenskünstler“ („Times“) trotz aller Beratungen mit seinen Anwälten nur schwerlich gelingen. Als mögliche Übergangslösung bringt der frühere FIFA-Anti-Korruptionsexperte Mark Pieth bereits den ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger ins Spiel. „Blatter muss schnellstens gehen“, titelte die „Neue Zürcher Zeitung“.
Im Umgang mit den heiklen Top-Personalien steht nun auch die Glaubwürdigkeit des unabhängigen FIFA-Ethikgremiums auf dem Spiel. „Das Wort „FIFA“ gekoppelt mit dem Wort „Ethik“ wird von den meisten als Oxymoron angesehen“, spottete die „New York Times“ (Sonntag).
Es brauche „eine schnelle, konsequente Aufklärung aller Vorwürfe und Verdächtigungen durch die zuständigen Ermittlungsbehörden sowie eine umfassende Kooperation durch die FIFA“, forderte der Deutsche Fußball-Bund. Den Namen Platini ließ aber auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach in der Erklärung am Samstagabend wohlweißlich außen vor.
Bis zu dem von der Schweizer Bundesanwaltschaft eingeleiteten Strafverfahren gegen Blatter galt Europas Kandidat als Topfavorit auf die Nachfolge seines früheren Intimus. Sollte auch Platini zum Beschuldigten werden, wäre seine Bewerbung hinfällig.
Nun muss der ins Zwielicht geratene 60-Jährige schnell beantworten, warum er für Dienste zwischen Januar 1999 und Juni 2002 erst knapp neun Jahre später von Blatter bezahlt wurde. 2011 unterstützten die UEFA-Verbände unter der Führung von Platini den Schweizer im Wahlkampf gegen den Katarer Mohamed bin Hammam. „Dieser Betrag steht in Bezug zu meiner Arbeit, die ich unter einem Vertrag mit der FIFA geleistet habe und ich bin froh, dass ich diese Angelegenheit mit den Behörden klarstellen konnte“, teilte Platini mit.
Und doch ist das europaweite Presse-Echo für ihn verheerend. „Sollten sich die Verdachtsmomente in seinem Fall erhärten, würde Blatter wohl auch seinen Intimfeind und potenziellen Nachfolger Platini mit in den Abgrund ziehen“, analysierte die „NZZ“. „Es wäre dies das absurde Ende einer Geschichte, die als Männerfreundschaft begann - und ein Spiegel des verheerenden Systems FIFA ist.“
Sollte Blatter noch vor der Wahl nicht mehr im Amt sein, würde dies die Situation aber auch nicht aufhellen. Im Gegenteil: Satzungsgemäß würde der skandalumwitterte FIFA-Vizepräsident Issa Hayatou aus Kamerun den Posten übernehmen.
Aus diesem Grund plädiert der frühere FIFA-Anti-Korruptionsexperte Pieth für Zwanziger als „Interimspräsident“: „Er war Exekutivmitglied, in die Reformen involviert und ist integer. Zudem ist er entscheidungsfreudig.“ Pieth bemängelte zudem die Rolle von Niersbach, der auf Zwanziger im FIFA-Exekutivkomitee gefolgt war: „Zwanziger hat mehr Profil und mehr Durchsetzungsvermögen. Niersbach ist bisher nicht bereit, zu Vorgängen innerhalb der FIFA klar Position zu beziehen.“
Einem alten Bekannten kommt das aktuelle Führungsdilemma im Weltfußball ganz gelegen. „Die Notwendigkeit für eine neue Führung, die die Glaubwürdigkeit der FIFA wiederherstellen kann, war niemals offenkundiger“, teilte Prinz Ali bin al-Hussein mit. Im Mai war der Jordanier bei der Präsidentenkür noch Blatter unterlegen gewesen - und könnte nun der große Gewinner werden.