Zehn Jahre Abramowitsch - „Pionier“ kam aus dem Nichts
London (dpa) - Roman Abramowitsch spricht nicht viel. Nicht über Geld. Nicht über Fußball. Schon gar nicht über sich selbst. Dennoch kursieren in London zahlreiche Anekdoten über den Milliardär, der am 1. Juli 2003 den FC Chelsea für umgerechnet 165 Millionen Euro in seinen Besitz brachte.
Damit revolutionierte ein einziger Mann den Fußball - nicht nur in der Premier League.
Als der schwerreiche Russe kurz vor der Übernahme glaubte, das Stadion des Clubs aus seinem Helikopter heraus zum ersten Mal zu sehen, soll er einen Angestellten angeblafft haben: „Was, diesen Mist kaufen wir?“ Es war aber die Heimat des FC Fulham, die im Westen Londons nicht weit entfernt von Chelseas Stamford Bridge liegt.
Wigans Boss Dave Whelan erzählt über den Oligarchen, dass er bei seinem einzigen Besuch im Stadion der Latics den berühmten Wigan Pie verschmähte und eigenes Wasser mitbrachte. Wohl aus Angst, man könne ihn vergiften. Die wenigen Meter vom Hubschrauberlandeplatz zum Stadion sei er im Auto gefahren. Kugelsicher.
Augenzwinkernd erinnert Chelseas Ex-Stürmer Franco di Santo an den Landeanflug vor zehn Jahren. „Er hat damals noch viel mehr gesehen, das er kaufen wollte, aber das meiste gehörte der Queen.“
Abramowitsch kam aus dem Nichts. Auch den Chelsea-Verantwortlichen war er unbekannt. „Ich habe ihn gegoogelt, aber er erschien nicht. Niemand wusste etwas über ihn. Ich war nicht sicher, ob ich es mit der versteckten Kamera zu tun hatte“, erinnerte Ex-Vorstand Trevor Birch im „Standard“ an die damaligen Verhandlungen. „Wir haben den Deal in zehn Minuten gemacht. Es war die größte Veränderung, die ich im Fußball gesehen habe.“
Chelsea war zwar schon vor dem Einstieg des 46-Jährigen ein Topclub mit ausländischen Stars, doch hatte man über seine Verhältnisse eingekauft. Unter Vorgänger Ken Bates waren 80 Millionen Pfund Schulden aufgelaufen. 2003 qualifizierte man sich gerade so für die Champions League, finanziell sah es aber eher nach Armenhaus als nach Königsklasse aus. Hätte der Russe nicht den Rubel rollen lassen, der Konkurs hätte gedroht.
„Im vorangegangenen Sommer hatten wir Enrique de Lucas ablösefrei verpflichtet. In diesem gaben wir 150 Millionen aus. Es war, als würden wir Fußball-Manager spielen“, verdeutlichte Birch die eklatante Veränderung. „Wir haben vorher in England ausländische Spieler verpflichtet, die am Ende ihrer Karriere standen. Plötzlich waren es Spieler auf dem Höhepunkt.“
Abramowitschs Einstieg zwang auch die Gegner, nach neuen Einnahmequellen zu suchen und ebnete den Weg für weitere ausländische Besitzer. Vor 2003 war Fulham der einzige Club der Liga in Händen eines fremden Mäzens. Heute sind es elf. Frank Arnesen, Ex-Sportdirektor von Chelsea und Hamburg, beschrieb Abramowitsch bei BBC als „Pionier, der den Fußball weltweit verändert“ hat. Unter dem laut Forbes 10,2 Milliarden Euro schweren Russen kaufte Chelsea 64 Spieler, zuletzt André Schürrle von Bayer Leverkusen. 874 Millionen Pfund (etwa 1,02 Milliarden Euro) hat die „Mail on Sunday“ an Ausgaben für Transfers addiert. 1,5 Milliarden Pfund habe Abramowitsch zudem an Gehältern locker gemacht.
13 Titel, darunter 2005 die erste Meisterschaft seit 1955, der Gewinn der Champions League 2012 und der Europa League 2013, reichen ihm als Gegenleistung aber offensichtlich nicht. Neun Trainer hat der Russe bereits gefeuert und gerade den zurückgeholt, mit dem 2004 die erfolgreiche Zeit begann: Jose Mourinho.
Der Portugiese soll dafür sorgen, dass das liebste Spielzeug des siebenfachen Vaters wieder in ähnlichem Glanz erstrahlt wie seine Jachten, seine Boeing oder seine Kunstwerke. Die Perfektion, die diese Besitztümer auszeichnet, hatte ihm bei Chelsea zuletzt gefehlt. Um sie auch auf dem Rasen wieder zu erreichen, wird Abramowitsch auch im elften Jahr die Schatulle öffnen, obwohl er seit seinem Landeanflug auf Chelsea weiß, dass auch er nicht alles kaufen kann.