Lahms Tränen und Spaniens „Tiki-Taka“-Erfolgstaktik
Stuttgart (dpa) - Tränen fließen aus den Augen von Philipp Lahm. Mit hängenden Schultern geht der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft über den Rasen des Moses-Mabhida-Stadion in Durban und klopft auf die Schultern seiner Mitspieler.
Dabei braucht der Fußball-Profi selbst Trost - denn kurz zuvor erzielte Spaniens Carlos Puyol per Kopf (73.) nach einer Ecke das einzige Tor der Partie. Die DFB-Elf verliert das WM-Halbfinale 2010 in Südafrika 0:1. „Es ist bitter, wenn man im Halbfinale ausscheidet. Die Enttäuschung ist sehr groß“, gesteht Lahm später vor den Fernsehkameras - und kämpft noch immer mit den Tränen.
Den Spaniern ebnet der Sieg vor 60 960 Zuschauern dagegen den Weg in ihr erstes WM-Finale - am Ende erobert das Team auch den Pokal. „Spanien ist derzeit einfach die beste Mannschaft der Welt“, lobt Franz Beckenbauer. Und Bundestrainer Joachim Löw, dessen Team wie 2006 Dritter wird, prophezeit nach den 90 Minuten in Durban: „Spanien wird dieses Turnier gewinnen.“
Schon vor dem Halbfinale gegen Deutschland kündigen die Iberer an: „Wir wollen Geschichte schreiben.“ Bei der ersten Fußball-WM auf afrikanischem Boden erfüllt die Elf von Trainer Vicente del Bosque ihr Vorhaben - und macht in der Heimat Wirtschaftskrise und Rekordarbeitslosigkeit vergessen. Der Europameister von 2008 zeichnet sich durch Kurzpassspiel, perfekte Raumaufteilung und Effizienz aus - am Ende reichen acht Tore in sieben Spielen zum Titelgewinn. Herzstück der „selección“ ist das Mittelfeld mit dem Barcelona-Trio Xavi, Andrés Iniesta und Sergio Busquets, die den kunstvollen Kombinationswirbel „Tiki-Taka“ im Schlaf beherrschen.
Nach zehn Siegen in zehn WM-Qualifikations-Partien startet Spanien als Favorit in das Turnier. Doch schon nach dem ersten Spiel gegen die Schweiz droht dem Europameister das Aus in der Vorrunde. Die überlegenen Spanier vergeben Chance um Chance und der Elf von Trainer Ottmar Hitzfeld reicht ein Konter zum Sieg. Das zweite Spiel gegen Honduras gewinnt Spanien durch einen Doppelpack von David Villa 2:0. Im letzten Gruppenspiel besiegt die Elf Chile 2:1 - mit einem spektakulären Tor aus 40 Metern setzt Villa ein weiteres Ausrufezeichen. Es folgen drei 1:0-Siege in der K.o.-Phase gegen Portugal (Achtelfinale), Paraguay (Viertelfinale) und Deutschland (Halbfinale) - effizienter geht es wohl kaum.
Ihren kometenhaften Aufstieg zur Fußball-Weltmacht krönt die wegen der roten Trikots sogenannte „Rote Furie““ schließlich im Finale gegen die Niederlande. Die Entscheidung im Soccer-City-Stadion in Johannesburg fällt erst in der Verlängerung. Mittelfeldregisseur Iniesta trifft in einer eher unspektakulären und von vielen Fouls geprägten Partie nach 116 Minuten für die Iberer. Jubelnd sinkt er danach auf die Knie, Torhüter Iker Casillas rennt schon vor Abpfiff über den Rasen und vergießt Freudentränen. „Weltmeister! Das ist unglaublich, unfassbar, einfach ohne Worte“, sagt Iniesta. Wieder reicht den Spaniern ein einziges Tor.
Die Niederländer dagegen sinken frustriert zu Boden. Nach 1974 gegen Deutschland (1:2) und 1978 gegen Argentinien (1:3 n.V.) stehen die „weinenden Holländer“, die zuvor 25 Spiele nicht verloren, nach einem WM-Finale erneut mit leeren Händen da. Doch wie Löw nach dem Halbfinale muss auch „Oranje“-Coach Bert van Marwijk nach der Partie einräumen: „Das bessere Team hat gewonnen. Spanien ist die beste Fußball-Nation.“ Und zum ersten Mal in der Geschichte Weltmeister.