Landeschefs preschen vor: Grindel soll DFB-Boss werden
Hannover (dpa) - Das mächtige Amateurlager im Deutschen Fußball-Bund hat Reinhard Grindel wie erwartet zum Präsidentschaftskandidaten gekürt und damit die Liga-Vertreter um Reinhard Rauball brüskiert.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete und bisherige DFB-Schatzmeister soll die Nachfolge des zurückgetretenen Wolfgang Niersbach antreten. Dies gab Interims-Verbandschef Rainer Koch nach dem Treffen der 21 Landesverbands- und fünf Regionalpräsidenten am Dienstag in Hannover bekannt. Mit ihrem Vorpreschen in der Personalfrage widersetzten sich die Landeschefs der Wunsch-Taktik des Profifußballs.
„Mein Ziel ist, dass Amateure und Profis unter dem gemeinsamen Dach des DFB gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten“, sagte Grindel in einer Stellungnahme des DFB. Er gab bekannt, dass er seinen Sitz im Sportausschuss des Deutschen Bundestages niederlegen werde. „Sollte ich zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes gewählt werden, werde ich auch meine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter aufgeben“, kündigte Grindel an. Der Politiker war bereits wiederholt wegen seiner Doppelfunktion im DFB und in der Politik kritisiert worden.
Koch und DFB-Vize Peter Frymuth fanden nach der gut zweistündigen Sitzung auch harsche Worte zum Skandal um die Vergabe der WM 2006. „Es kann nicht sein, dass Millionen von Fußballspielern, Fußballspielerinnen und Hunderttausende von Ehrenamtlichen darunter leiden, wenn eine Handvoll von Menschen vor vielen, vielen Jahren Dinge gemacht hat, die jetzt den DFB zurecht kritisch betrachten lassen“, sagte Frymuth in Richtung von Niersbach, Franz Beckenbauer und anderen damaligen Verantwortlichen.
Auch wenn die mehr als 25 000 deutschen Amateurfußballvereine nichts mit den aktuellen Vorkommnissen zu tun hätten, erklärte Koch, „so werden diese doch alle miterfasst von den aktuellen gegenüber UEFA, FIFA und dem DFB erhobenen schwerwiegenden Vorwürfen.“ Der Jurist aus dem bayrischen Poing mahnte auch: „Es wäre dem DFB viel geholfen, wenn in Zukunft die Satzung immer eingehalten werden würde.“
Rauball, zusammen mit Koch Interimspräsident beim größten Sportfachverband der Welt (6,9 Millionen Mitglieder), hielt sich zwar im gleichen Hotel auf wie die Landesfürsten. Er war aber als Delegationsleiter der Nationalmannschaft in Hannover.
Der Ligapräsident hatte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gemahnt: „Es ist das Recht der Landes- und Regionalverbände, Vorschläge zu machen. Die weitere Marschroute, was die Strategie, die Inhalte, die Termine und auch die Personen betrifft, sollte aber erst in der Präsidiumssitzung des DFB am kommenden Freitag besprochen, beschlossen und dann veröffentlicht werden.“
In Frankfurt/Main müssen sich nun die beiden Lager bei der nächsten Sitzung des krisengeplagten Verbandes zusammenraufen. Der nächste ordentliche Bundestag steht erst im November 2016 in Erfurt an - viel zu spät, um die Führungsfrage wie von Grindel und Koch gewünscht noch vor der Fußball-EM im Sommer in Frankreich zu klären.
„Der DFB muss nach dem Rücktritt von Wolfgang Niersbach so schnell wie möglich wieder vollständig handlungsfähig gemacht werden“, erklärte Koch das Vorgehen und sprach von einer „schweren Glaubwürdigkeitskrise“. „Wir machen keinen Alleingang. Wichtig ist, dass wir in dieser Minute nur einen Vorschlag machen.“
Die Landesverbände haben jedenfalls mit ihrem einstimmigen Votum für Grindel ein klares Zeichen gesetzt. „Ich unterstütze die Kandidatur von Reinhard Grindel persönlich“, sagte Koch. „Wir sind sehr sicher, dass er der richtige Mann ist, der die großen Herausforderungen des DFB lösen kann.“ Grindel sei „den Vertretern von Profis und Amateuren gleichermaßen gut vermittelbar“. Koch selbst verzichtete. Er will sich auch künftig als Vize für die Amateure einsetzen.
Grindel hat nun beste Chancen, auf einem außerordentlichen DFB-Bundestag, der laut Koch „baldmöglichst“ stattfinden soll, auch gewählt zu werden. Die Landesverbände verfügen im DFB über eine Stimmenmehrheit. Bevor der neue Verbandsboss gekürt wird, sind laut Koch „zunächst vorrangig die externen Untersuchungs- und Aufklärungsarbeiten der Kanzlei Freshfields mit Nachdruck voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen.“
Koch und Rauball hoffen, dass der Abschlussbericht bis Weihnachten, spätestens Anfang Januar vorliegt. Darin geht es um die große Frage, ob bei der WM-Vergabe alles mit rechten Dingen zugegangen ist und ob Beckenbauer zusammen mit anderen Organisationskomitee-Mitgliedern einen Bestechungsversuch bei dem damaligen FIFA-Spitzenfunktionär Jack Warner (Trinidad und Tobago) zumindest versucht hat.
Niersbach war am wegen des Skandals um das Sommermärchen zurückgetreten. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt im Zuge der dubiosen 6,7-Millionen-Euro-Zahlung des DFB an die FIFA wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall.