Neuer Macher bei Viktoria Köln Andreas Rettig: „Wir verlieren die Menschen durch einfliegende Friseure“

Interview · Andreas Rettig wird Vorsitzender der Geschäftsführung beim Drittligisten FC Viktoria Köln. Dort will er etwas besser machen, was er im Profifußball verloren glaubt

Andreas Rettig übernimmt zum 1. Juni den Vorsitz der Geschäftsführung beim Drittligisten Viktoria Köln.

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Herr Rettig, Sie waren in herausgehobener Position beim 1. FC Köln, in Freiburg, Augsburg, bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) und dem FC St. Pauli. Wieso 3. Liga, wieso Viktoria Köln?

Andreas Rettig: Ich habe meine Entscheidungen nie von der jeweiligen Spielklasse abhängig gemacht. Entscheidend sind für mich die handelnden Personen, das Umfeld und die Gestaltungsmöglichkeiten. Außerdem habe ich in den 1980-er Jahren – wenn auch mit mäßigem Erfolg – für die Viktoria gespielt. Ich bin 2012 zusammen mit Erich Ribbeck zum Ehrenmitglied ernannt worden und habe mich für den Nachwuchs des Clubs engagiert. Es bestand also schon immer große Verbundenheit.

Sie gelten als jemand, der dem Investoren-Modell sehr kritisch gegenübersteht. Jetzt arbeiten Sie bei Viktoria Köln, einem Verein, der sehr stark von den Finanzspritzen des Investors Franz-Josef Wernze abhängt.

Rettig: Der Verein hat Herrn Wernze viel zu verdanken. Nur zur Klarstellung: Ich habe und hatte noch nie etwas gegen Investoren. Als Geschäftsführer der DFL habe ich es damals so formuliert: ‚Investoren sind immer herzlich willkommen, sie müssen sich nur an die Spielregeln halten.‘ Im Übrigen ist Herr Wernze jemand, den ich nicht als klassischen Investor bezeichnen möchte. Er ist nicht auf einen „Return on Invest“ aus, sondern erfreut sich an einer emotionalen Rendite. Dass er nun die Weichen in Richtung Zukunft stellt und Nachfolgeregelungen trifft, zeigt ein hohes Verantwortungsbewusstsein für den Verein.

In Köln gibt es den FC, den FC, den FC – und dann lange nichts. Wie wollen Sie es schaffen, das Interesse in der Stadt an der Viktoria zu steigern? Welche Nische könnten Sie besetzen?

Rettig: Der 1. FC Köln heißt deshalb 1. FC Köln, weil er der erste Fußballclub in der Stadt ist. Das wird er auch bleiben. Wir sehen uns nicht im Wettstreit mit ihm. Wichtig ist mir, dass wir es schaffen, uns nicht nur über das Wochenendergebnis zu definieren, sondern – wenn auch mit nur begrenzten, regionalen Möglichkeiten – einen gesellschaftlichen Beitrag für die Stadt zu leisten. Wenn die Menschen sagen: „Ich bin weder Mitglied noch Fan der Viktoria, aber was die Viktoria macht, finde ich gut“, wäre das ein Erfolg. Wir wollen einfach in der Stadt positiv beleumundet sein.

Viele Vereine der 3. Liga kämpfen seit jeher mit großen finanziellen Problemen. Wie muss man in einem solchen Umfeld arbeiten?

Rettig: Es ist wie überall: Man muss die Ausgaben den Einnahmen angleichen.

Bisher hat die Viktoria häufiger auf größere Namen gesetzt, die in gesetzterem Profi-Alter in die 3. Liga gekommen sind, wie Albert Bunjaku oder Marcel Risse. Wird sich an dieser Strategie etwas ändern?

Rettig: Unsere Strategie ist – neben dem Beitrag zur gesellschaftlichen Verantwortung – sportlichen Erfolg zu haben. Am liebsten mit jungen, rechtsrheinisch verwurzelten, Spielern, die bis zur Rente bei uns bleiben. (lacht)

Der Fußball kämpft gerade durch die Corona-Geisterspiele noch mehr mit einer Entfremdung von den Fans. Bei der Viktoria wollen Sie die Spieler zu sozialem Engagement verpflichten. Wie denn?

Rettig: Eine Branche, die mit und durch die Öffentlichkeit Geld verdient, braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Diese schwindet, bezogen auf den Profifußball, leider immer mehr. Dieser befindet sich nicht nur in Corona-Zeiten in einer Blase. Wir alle im Club wollen unseren Beitrag zu gesellschaftlichem Engagement leisten. Bei allen neuen Verträgen führen wir eine sogenannte Gemeinwohlklausel ein und bieten verschiedene Aktivitäten an, sich gesellschaftlich zu engagieren. Dies kann die Blutspende sein, aber auch die Unterstützung der Kita oder eines Altenheims.

Stichwort Entfremdung. Zeigen die offenbar gescheiterten Pläne einer Super League, aber auch die Champions-League-Reform, auf welchem Irrweg sich der Spitzenfußball seit geraumer Zeit befindet?

Rettig: Wir verlieren die Menschen schon seit Jahren durch einfliegende Friseure, goldene Steaks und zur Schau gestellten Protz. Das muss sich ändern.

An der DFB-Spitze schwelt seit Monaten ein imageschädigender Machtkampf. Haben Sie noch Hoffnung, dass der Verband seine Probleme irgendwann einmal langfristig in den Griff bekommen kann?

Rettig: Was die goldenen Steaks bei den Spielern sind, sind die Matchkämpfe bei den DFB-Funktionären. Es geht immer um eine glaubwürdige Führung. Wasser predigen und Wein trinken funktioniert nirgends.