Schnupperkurs am Sehnsuchtsort: Löws EM-Check in Paris
Paris (dpa) - Beim Landeanflug der Chartermaschine auf Paris verhinderte die dicke Wolkendecke einen ersten Blick auf den neuen Sehnsuchtsort der Fußball-Weltmeister.
In weißem Shirt und mit grauem Schal hatte es sich Joachim Löw in der ersten Reihe der vom Lufthansa-Streik nicht betroffenen Sondermaschine bequem gemacht. Nach der Landung ging es für den DFB-Tross mit einer Blaulicht-Eskorte der Gendarmerie quer durch die Millionenstadt.
Die Bedeutung des EM-Checks bei Turnier-Gastgeber Frankreich am Freitag in der Endspielarena von St. Denis hatte der Bundestrainer zuvor schon betont. „Wir spielen im Stade de France, hier wird am 10. Juli 2016 der Europameister ermittelt. Für uns alle ist es auch eine gute Gelegenheit, die Atmosphäre in diesem Stadion schon einmal zu erleben“, sagte Löw.
Nach der mühsamen Qualifikation der Nationalmannschaft mit den unbefriedigenden Oktober-Leistungen in Irland (0:1) und gegen Georgien (2:1) startet Löw mit dem Jahresabschluss gegen die Équipe Tricolore und vier Tage später gegen die Niederlande die konkrete Planung der nächsten Titelmission - personell wie logistisch.
„Nun beginnt für uns die Phase der Vorbereitung auf die EM in Frankreich“, stellte Löw kategorisch fest. Alibis gibt es keine mehr, wenn Bastian Schweinsteiger und Co. erstmals in einem Spiel in den neuen, klassisch-weißen EM-Trikots auflaufen.
„Den Spagat müssen wir jetzt tatsächlich schaffen. Auf der einen Seite haben wir eine klasse Aufgabe vor uns mit dem Spiel in Paris gegen Frankreich, einen starken Gegner. Auf der anderen Seite ist es für mich die Chance, noch einmal ein paar Spieler zu testen und vielleicht auch ein paar Veränderungen vorzunehmen“, sagte Löw zu dem Schnupperkurs im EM-Ausrichterland.
In Paris wird der Experimentiermodus aber noch auf kleiner Flamme gehalten. Erst am Dienstag gegen Oranjes EM-Verpasser dürften mehrere Stammkräfte geschont werden. Zu wichtig ist dem Bundestrainer eine Signalwirkung, die mit dem 25. Sieg im 50. Testspiel seiner Amtszeit auf den Konkurrenten Frankreich schon Richtung EM ausstrahlen würde. Und ein Rekord ist auch noch möglich. In 26 Spielen seit 1931 konnte das DFB-Team noch nie dreimal in Serie gegen Frankreich gewinnen.
Stammtorwart Manuel Neuer bekommt jedenfalls seine Wunsch-Visite im Stade de France. „In Paris habe ich noch nie gespielt, es könnte Endspiel-Charakter haben. Da ist es nicht schlecht, die Atmosphäre kennenzulernen“, sagte der Bayern-Schlussmann, der aus Frankreich dann direkt wieder nach München reisen darf.
Leroy Sané könnte als 77. Neuling unter Löw debütieren. „Es war natürlich etwas ganz Besonderes“, berichtete der 19 Jahre alte Schalker von den ersten Trainingstagen im A-Team. André Schürrle steht vor seinem 50. Länderspiel. Ilkay Gündogan dürfte in der Schaltzentrale die von Löw vornherein zur Erholung in Herbsturlaub geschickten Zehner-Optionen Mesut Özil und Toni Kroos ersetzen.
Ob Mario Gomez nach 14 Monaten Pause zu seinem 61. Länderspiel kommt - eventuell sogar von Beginn an - wollte die Sportliche Leitung nicht frühzeitig verraten. Der lange von Löw unberücksichtigte Stoßstürmer fühlt sich jedenfalls bereit. „Ich freue mich auf jedes Spiel.“
Trotz des Wirbels um die Sexfilm- und Erpressungsaffäre der diesmal nicht nominierten Karim Benzema und Mathieu Valbuena hält Löw den Kontrahenten für einen echten Gradmesser. „Die französische Nationalmannschaft gehört für mich zu den besten Teams der Welt. Schon bei der WM hat sie gezeigt, auf welch hohem Niveau sie spielen kann. Ich freue mich, in Frankreich einen Vorgeschmack darauf zu bekommen, was uns dort im kommenden Sommer erwartet.“
Der 1:0-Sieg im WM-Viertelfinale 2014 ist sowohl beim Team von Trainer Didier Deschamps als auch bei den DFB-Stars noch präsent. „Wir haben gute Erinnerungen an Frankreich“, sagte Lukas Podolski. „Da war der Sieg bei der WM. Wir wollen wieder gewinnen“, sagte der neben Gomez zweite Istanbul-Profi im DFB-Kader.
Beim letzten Paris-Auftritt im Februar 2013 standen Gomez und Podolski noch in der Startformation. Der 2:1-Sieg durch Tore von Thomas Müller und Sami Khedira war der erste DFB-Erfolg in Frankreich nach 78 Jahren und hatte ebenfalls Signalwirkung. Auch damals testete Löw. Unter anderem wurde die bei der WM dann erfolgreich praktizierte Variante mit Benedikt Höwedes als Linksverteidiger ausprobiert.
Probeläufe in kommenden EM-Gastgeberländern haben unter Löw Tradition. Eine Niederlage gab es dabei noch nie. Im Frühjahr 2008 gewann man in Österreich (3:0) und der Schweiz (4:0). Vor der EM 2012 reichte es in Polen (2:2) und der Ukraine (3:3) zu Unentschieden. Nach dem Geschmack von Löw, darf es am Freitag wieder ein Sieg sein.