Sportidole und Vaterlandsverräter: DDR-Flüchtlinge

Berlin (dpa) - Durch den Leistungssport lernten sie die große, weite Welt kennen - zahlreiche DDR-Athleten trieb der Wunsch nach Freiheit schließlich zur Flucht in den Westen.

Der BFC-Fußballer Lutz Eigendorf, der vor 30 Jahren auf mysteriöse Weise ums Leben kam, ist nur einer von etwa 600 Spitzensportlern, die es auf manchmal gefahrvollen Wegen in den Westen zog. Im Osten Deutschlands wurden sie einst als Idole verehrt, nach ihrer Flucht jedoch als Vaterlandsverräter beschimpft.

Einige Prominente im Überblick:

JÖRG BERGER: 1979 nutzt der Fußballtrainer eine Jugoslawien-Reise zur Flucht in den Westen. Dort muss er zunächst von Sozialhilfe leben, da der Deutsche Fußball-Bund seine DDR-Trainerlizenz nicht anerkennt. Später beißt er sich durch und betreut mit Erfolg die Bundesligisten Eintracht Frankfurt, 1. FC Köln und Schalke 04. Ein Jahr vor seinem Krebstod 2010 veröffentlicht Berger seine Autobiografie mit dem Titel „Meine zwei Halbzeiten. Ein Leben in Ost und West“.

LUTZ EIGENDORF: Nach einem Fußball-Freundschaftsspiel des BFC Dynamo beim 1. FC Kaiserslautern setzt sich der DDR-Nationalspieler in den Westen ab. Am 21. März 1979 nutzt er einen Einkaufsbummel in Gießen zur Flucht. Der DDR-Fußballverband beantragt eine zweijährige Sperre für Eigendorf, doch die FIFA erteilt ihm nach Ablauf der einjährigen automatischen Sperre die Spielerlaubnis. Im Frühjahr 1983 kommt er bei einem Autounfall ums Leben. Danach gibt es zahlreiche Indizien, dass die Stasi in den Fall verwickelt ist.

FALKO GÖTZ: Im November 1983 nutzt der Fußballer ein Europapokalspiel des DDR-Meisters BFC Dynamo bei Partizan Belgrad zur Flucht. Über die Belgrader Botschaft der Bundesrepublik kommt der DDR-Juniorenauswahlspieler zu Bayer Leverkusen. Die Verbindung des späteren Trainers von Hertha BSC zu Coach Dettmar Cramer kommt über Jörg Berger zustande.

WOLFGANG SCHMIDT: Ein Stasi-Spitzel lockt den Olympia-Zweiten im Diskuswerfen von 1976 in Montreal mit einem fingierten Fluchtplan in die Falle. 1982 wird er zu einer anderthalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Erst Ende 1987 darf er aus der DDR ausreisen - zu spät, um für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul nominiert zu werden.

HANS-GEORG ASCHENBACH: Der Skisprung-Olympiasieger von 1976 und Oberstleutnant der Nationalen Volksarmee gilt als eine der schillerndsten Figuren des DDR-Sports. 1988 gelingt ihm die Flucht in den Westen, seine Familie muss er zunächst in der Heimat zurücklassen. Erst wenige Monate vor dem Fall der Mauer erhalten seine Angehörigen durch Vermittlung der UNO die Erlaubnis, nach Freiburg überzusiedeln, wo Aschenbach als Arzt arbeitet.

RENATE VOGEL: 1979 flüchtet die dreimalige Schwimmweltmeisterin über Ungarn in den Westen. Ihr Mann wird in der DDR als potenzieller Fluchthelfer verhaftet. „Der Sport ist der einzige Weg, ins Ausland zu kommen. Das ist eine Motivation, die man in der Bundesrepublik gar nicht kennt“, sagt sie nach ihrer Flucht in einem dpa-Interview.

WOLFGANG THÜNE: Mit Unterstützung durch Reck-Weltmeister Eberhard Gienger, heute CDU-Abgeordneter im Bundestag, flieht der prominente Turner am 2. Juni 1975 während der Europameisterschaft in Bern. In Leverkusen schließt er sich Bayer 04 an und wird 1977 deutscher Mehrkampf-Meister, gewinnt auch am Pauschenpferd und beim Sprung.