Trotz Terrorangst: EM-Absage ist keine Option
Paris (dpa) - Näher kam der Terrorismus dem Fußball noch nie. Die furchtbaren Anschläge direkt vor dem EM-Endspielstadion Stade de France haben dem Sport die eigene Verwundbarkeit in dramatischer Weise vor Augen geführt und große Zweifel an einem fröhlichen Sommer-Turnier in Frankreich geweckt.
Eine Absage der EM vom 10. Juni bis 10. Juli 2016 in neun französischen Städten ist aber für die UEFA keine Option. Solidarität, Unterstützung, aber keine Kapitulation!
„Wenn man die EM jetzt infrage stellt, würde man sich den Regeln der Terroristen beugen“, sagte Turnier-Cheforganisator Jacques Lambert französischen Medien. In dieser Haltung wird er auch von deutschen Spitzenfunktionären unterstützt. „Wenn man die EM jetzt absagen würde, dann käme dies einer Kapitulation vor den Verbrechern gleich. Das darf nicht passieren“, sagte der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, Alfons Hörmann, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
„Wir werden die notwendigen Entscheidungen treffen, damit die EURO 2016 mit den bestmöglichen Sicherheitsmaßnahmen stattfinden wird“, sagte Lambert. Dieses Versprechen klingt angesichts der Dramatik in St. Denis mit drei Detonationen direkt hinter der Gegentribüne der riesigen Betonschüssel während des deutschen Länderspiels nach einer Beruhigungspille. Andere Möglichkeiten haben die EM-Macher derzeit auch nicht. Klar ist: Die EM wird zu einer der größten Sicherheitsoperationen in der Sportgeschichte werden. „Europa, die Welt muss zusammenstehen und den Kampf aufnehmen, so wie es Frankreichs Staatspräsident Hollande gesagt hat“, betonte Hörmann.
Die Europäische Fußball-Union beschränkte sich zunächst auf eine knappe schriftliche Mitteilung. „Die UEFA ist tief geschockt und traurig über die tragischen Ereignisse und möchte Frankreich und denjenigen, die von diesen schrecklichen Akten betroffen sind, ihre Unterstützung und Solidarität ausdrücken“, teilte der Verband am Samstagmorgen mit. Für alle anstehenden Länderspiele wurden Schweigeminuten und Trauerflor für alle Spieler angeordnet.
Für die UEFA ist die Anschlagsserie vom Freitagabend an mehreren Orten in Paris mit insgesamt mehr als 120 Toten ein wahr gewordener Alptraum. In nur vier Wochen sollen die sechs EM-Vorrundengruppen ausgelost werden. Die Show im Le Palais de Congrès de Paris an der Porte de Maillot im Westen der Stadt ist ein Meilenstein auf dem Weg zum größten Kontinentalturnier mit erstmals 24 Mannschaften und 51 Spielen. Auch DFB-Teammanager Oliver Bierhoff soll dann vor den Augen der Fußball-Welt wieder einer der Stargäste sein und die Lose ziehen. Da eine Absage keine Alternative ist, wird das Event nun zu einer absoluten Hochsicherheitsveranstaltung mit mulmigen Gefühlen werden.
„Es wurden viele Vorsichtsmaßnahmen getroffen, aber wir müssen sehen, dass Terroristen jederzeit zuschlagen können. Wir hatten Sorge wegen der EM, jetzt ist die Sorge noch größer“, sagte der Präsident des französischen Verbandes, Noël Le Graët, unmittelbar nach den Ereignissen noch in den Katakomben des Stade de France.
Bereits vor einigen Wochen hatte Lambert betont: „Von Beginn an wussten wir, dass die Sicherheitsfrage der Schlüssel für ein erfolgreiches Turnier sein wird.“ Angesichts der Anschläge auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ im Januar dieses Jahres hatte er angemerkt, Terrorismus sei kein theoretisches Risiko mehr, sondern ein mögliches. Das wurde nun auf fürchterliche Weise belegt.
Schon in ihrer EM-Bewerbung hatten die Franzosen die Sicherheitslage ganz oben auf der Liste der zwölf Turnierrisiken benannt. Nun ist tatsächlich das Stade de France - als Eröffnungs- und Endspielarena das Herz der EM - zum Ziel einer Attacke geworden. Angeblich wollten die drei Attentäter von St. Denis ins Stadion eindringen und dort ein Horrorszenario anrichten. Als ihnen dies nicht gelang, sprengten sie sich vor der Arena selbst in die Luft, angeblich mit dem Ziel, durch die Wucht und Lautstärke der Detonationen unter den 80 000 Zuschauern eine Panik auszulösen, berichten französische Medien.
Den Ordnern vor der Arena ist es offenbar zu verdanken, dass die Attentäter ihren perfiden Plan nicht ausführen konnten. Das Krisenmanagement im Stade de France funktionierte auch nach dem Schlusspfiff gut. Nur vereinzelt kam es zu panikartigen Reaktionen. Die auf den Rasen geflüchteten Besucher wurden nach und nach und in großer Ruhe aus dem Stadion geleitet. „Die Sicherheit in den Stadien funktioniert gut“, sagte Lambert. „Das Risiko besteht mehr in den Straßen, bei spontanen Zusammenkünften.“