Auf seine Art ein Anti-Löw

Trainer Alejandro Sabella hält sich gern versteckt, aber der Masterplaner ist nicht zu unterschätzen. Nach der WM hört er auf.

Alejandro Sabella greift am Sonntag mit Argentinien nach dem WM-Titel.

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Belo Horizonte. Das Erscheinungsbild beim argentinischen Nationaltrainer ist ein anderes als beim Bundestrainer. Alejandro Sabella ist nur fünf Jahre älter als Joachim Löw, aber der Abstand wirkt gewaltiger. Die wenigen grauen Haare in der Kopfmitte legt der in Buenos Aires geborene Sabella sehr akkurat über seine hohe Stirn zurück, was ihn irgendwie weise erscheinen lässt. Zumal, wenn der 59-Jährige noch seine Brille trägt. Sabella zieht sich oft ganz anders an als der deutsche Kollege. Weit weniger modisch. Mitunter stülpt er sich eine ulkige weiße Kappe über den Kopf, die einem Granden wie ihm wirklich nicht steht.

Was auch noch auffällt: Wie häufig der Coach der „Albiceleste“ auf dem „Cidade do Galo“, dem Trainingsgelände des in Belo Horizonte beheimateten Erstligisten Atlético Mineiro, eine Taktiktafel mit sich herumträgt. Als müsse er Lionel Messi schnell noch neue Laufwege aufzeichnen.

Bloß eines sollte niemand vor dem Endspiel am Sonntag in Rio de Janeiro tun: Diesen Fußballlehrer unterschätzen. Die meisten verorten ihn irgendwo zwischen César Luis Menotti und Carlos Bilardo; es heißt immer, er bewege sich zwischen den Antipoden des offensiven „Menottismo“ und des defensiven „Bilardismo“. Zur Erinnerung: Menotti führte die Argentinier 1978 zum WM-Titel im eigenen Land, und dessen damaliger Kapitän Daniel Passarella hatte dann Mitte der 90er Jahre als Nationaltrainer das Sagen. Als dessen langjähriger Assistent diente der treue Sabella.

Im Gegenzug hatte er Anfang der 80er Jahre die Ehre, als Spieler unter Carlos Bilardo Anweisungen empfangen zu dürfen, der mit Argentinien 1986 die WM-Trophäe in Mexiko gewann. Bilardo ist heute Direktor für alle argentinischen Auswahlmannschaften und derjenige mit dem größeren Einfluss. Aber wenn es Sabella schafft, im Maracanã wieder ein bisschen mehr Menotti beizumischen als im Halbfinale gegen die Niederlande, dann könnte auch Sabella ein Weltmeistertrainer werden.

Zum Volksheld fehlt gleichwohl noch ein wenig. Als Sabella noch selbst Fußball spielte hat man ihn dem Spitznamen „Pachorra“ verpasst. Das bedeutet so viel wie Trägheit und sollte die bedächtige Spielweise des damaligen Mittelfeldspielers beschreiben. Als Trainer hat er sich dann auch nicht in einen verwandelt, der als Energiebündel oder Einpeitscher wahrgenommen wird. Im Gegenteil. Im hybriden Umfeld seiner Landsleute scheint Sabella mit seiner zurückhaltenden Art das lebende Kontrastprogramm.

Sabella ist ein rechter Langeweiler, er kennt diese Vorwürfe zur Genüge. Wer bei Sabellas Ausführungen fleißig mitschrieb und später auf den Block blickte, hat sich oft gefragt, was von den Antworten denn zum knackigen Zitat taugen könnte. Ehrlich gesagt: nicht viel.

Und doch bestehen an der Fachkenntnis und dem Instinkt dieses Mannes keine Zweifel. Er kann subtilen Witz mit gehörigem Trotz paaren — und hat dabei stets ein offenes Ohr.

Etwa für Messis Wünsche. Als sich der Megastar für die Gruppenspiele nach mehr offensiven Mitstreiter sehnte, schlug ihm Sabella das Verlangen nicht ab. Aber als sein heimlicher Kapitän Javier Mascherano für das Viertelfinale gegen Belgien mehr defensive Unterstützer einforderte, baute er den Abfangjäger Lucas Biglia ein. Den Lazio-Legionär hatte wie Martin Demichelis niemand zuvor für die Aufstellung auf dem Zettel. Sabella schon.

Von sich selbst sagte er einmal, er möchte als ein Mensch in Erinnerung bleiben, „der eher darauf bedacht war, zu einen als zu spalten.“ Doch jedem kann er es auch nicht Recht machen: Für den Querulanten Carlos Tevez war kein Platz, fast trotzig tragen noch einige argentinische Anhänger den Namen Tevez auf dem Rücken ihrer Trikots in die WM-Stadien. Und doch hat er es weiter gebracht, als zuvor José Pekerman und Diego Maradona.

Der eine wechselte bei der WM 2006 in Deutschland falsch aus, der andere stellte sich bei der WM 2010 in Südafrika viel zu sehr selbst in den Mittelpunkt. Der Masterplaner Sabella ist in Brasilien schon viel weiter gekommen. Ein Sieg fehlt zur Krönung, nach dem Turnier wird er wohl gehen. Sagt sein Agent Eugenio López: „Er geht. Was auch immer passiert, Sabella wird die Nationalmannschaft verlassen. Mit oder ohne Titel geht ein Zyklus zu Ende“, sagte López.