Blatter hält sich weiter für Mann der Zukunft
São Paulo (dpa) - Machtmensch, Tyrann oder Heilsbringer des Fußballs - die Lehre aus dem Kongress von São Paulo ist auf jeden Fall einfach. Das System Blatter funktioniert wie eh und je.
Mit einer Demonstration von Kalkül und Durchsetzungsvermögen hat FIFA-Präsident Joseph Blatter am Vorabend des WM-Anpfiffs wieder einmal gezeigt, wie der Weltverband nach seiner Pfeife tanzt und dabei auch nicht den endgültigen Bruch mit der wichtigsten Fußball-Konföderation gescheut.
Während Europas Vertreter grummelnd als erste WM-Verlierer von dannen zogen, stilisierte sich der 78-Jährige unter dem Applaus der anderen Konföderationsmitglieder zum wiederholten Male in seiner langen Funktionärskarriere zum Mann der Zukunft.
„Kongress, Du entscheidest, wer diese großartige Institution führen soll, aber ich kann sagen, ich bin bereit, dabei zu sein“, sagte Blatter mächtig pathetisch in seiner cleveren Schlussansprache. Mit unglaublichem Geschick platzierte Blatter seine erneute Kandidatur für den Wahl-Kongress 2015 und stellte seine Gegner aus Europa nur einen Tag nach deren per Verbal-Attacke vorgetragener Rücktrittsforderung schlichtweg ins Abseits.
„Ich werde ihn nicht unterstützen“, sagte UEFA-Chef Michel Platini der französischen Sportzeitung „L'Équipe“. Der Weltverband brauche „frischen Wind“, betonte er. Tags zuvor hatte Blatter den Delegierten aus 209 FIFA-Ländern in der ihm vorbehaltenen Abschlussrede versprochen: „Meine Mission ist noch nicht beendet, das sage ich Ihnen. Wir werden die neue FIFA errichten.“ Die Kontrahenten hatten laut Protokoll keine Chance mehr zu antworten.
Der Wahlkampf begann für Blatter schon vor der Ankündigung zur Kandidatur, der allerdings auch noch ein formaler Akt der neuen internen Präsidenten-Prüfung folgen muss. Den Mitgliedsverbänden versprach er nun auch vor Publikum neue Millionenzahlungen aus dem prall gefüllten WM-Geldtopf von 200 Millionen Dollar.
Und dann verkündete er noch, dass er plötzlich den Video-Beweis im Fußball nicht mehr ausschließt. „Warum geben wir den Trainern nicht die Möglichkeit, zwei Entscheidungen anzuzweifeln, wenn sie anderer Meinung sind?“, fragte Blatter - und rief nicht nur beim DFB-Präsidenten Unverständnis hervor.
„Die FIFA hat mehrfach unsere Anträge abgelehnt, die völlig unsinnige Dreifachbestrafung abzuschaffen. Einer solchen Maßnahme im Sinne des Fußballs und Fairplay verweigert sich das International Board, stattdessen kommt von Blatter jetzt dieser merkwürdige und unabgestimmte Vorschlag, durch die Hintertür den Videobeweis einzuführen“, sagte Wolfgang Niersbach am Donnerstag. Der Blatter-Vorstoß war auch eine neue Breitseite gegen den möglichen Herausforderer Platini. Der UEFA-Präsident konnte sich bislang noch nicht einmal mit der neuen Torlinientechnik anfreunden. Nun generiert sich sein Kontrahent als radikaler Erneuerer - mit 78 Jahren.
Und als sensibler Mensch noch dazu. „Ich habe schon sehr viel einstecken müssen in meinem Leben. Aber so etwas Respektloses habe ich noch nie erlebt, weder auf dem Fußballfeld noch im eigenen Hause“, sagte er zu der Rücktrittsforderung durch die UEFA-Delegierten am Vortag im Hotel mit dem passenden Namen Renaissance. Von der von vielen herbeigesehnten Erneuerung ist bei der FIFA wenig zu spüren - es geht wohl alles einfach in gewohnten Bahnen weiter.
Die eigene Meinung von gestern ist im Fußball-Funktionärswesen dieser Tage wenig wert. Schließlich hatte Blatter 2011 angekündigt, dass die laufende definitiv seine letzte Amtszeit auf dem FIFA-Thron sein werde. Und wie reagierte Fußball-Europa? Die Funktionäre schwiegen den gesamten gut siebenstündigen Kongress im Transamerica Expo Center von São Paulo. Die UEFA-Delegierten hielten sich damit zwar ans Protokoll, doch eines ist seit Mittwoch auch klar: Ohne den Mut zur großen Revolution wird Blatter kaum aus dem Amt zu drängen sein.
Erst mit einem Tag Verspätung meldete sich Platini zu Wort und kündigte in der „L'Équipe“ mit deutlichen Worten an, Blatter nicht (mehr) zu unterstützen. Am 28. August werde er bei der Champions-League-Auslosung in Monaco bekanntgeben, ob er als Gegenkandidat zu Blatter antritt, kündigte der Franzose an.
Theoretisch könnte der Schweizer nun sogar noch viel länger FIFA-Chef bleiben, denn sowohl Alterslimit als auch Amtszeitbeschränkung wird es bei der FIFA nicht geben. Beide Anträge als Schlusspunkt der ohnehin dürftigen Demokratiereform schafften nicht einmal die fürs Erste notwendige einfache Mehrheit. „Die Abstimmung über die Alters- und Amtszeitbegrenzung hat klar gezeigt, dass die Europäer eben nicht die Reformblockierer sind. Wir haben als DFB wie die große Mehrheit der UEFA-Verbände offen dafür gestimmt, in anderen Konföderationen sah das leider ganz anders aus“, sagte Niersbach.
Krachend gescheitert ist damit auch das deutsche FIFA-Exko-Mitglied Theo Zwanziger, der noch kurz vor der Abstimmung als Reformarchitekt um Zustimmung zumindest zur Mandatsbeschränkung geworben hatte.
Die Funktionärskarriere Zwanzigers geht nun mit einer Niederlage zu Ende. Bis zu seinem geplanten Ausscheiden aus dem FIFA-Exekutivkomitee im Mai 2015 hat er praktisch keine relevante Aufgabe mehr. Ganz im Gegenteil zu Michael Garcia. Auf den FIFA-Chefermittler werden sich in den kommenden Wochen viele Augen richten. Sein Gastauftritt war schon bemerkenswert, denn der Amerikaner scheute sich nicht, den Delegierten zu sagen, dass die Untersuchungen zu möglichen Bestechungen bei der WM-Vergabe 2018 und 2022 auf penible Weise fortgesetzt werden.