Brasilien will versöhnlichen Abschluss
Brasília (dpa) - Die Seleção kämpft um ihre Würde, den Niederländern ist ihr letztes WM-Spiel fast schon egal. Bevor Deutschland und Argentinien im Maracanã das krönende Endspiel dieser Fußball-WM bestreiten, müssen sich die geschlagenen Halbfinalisten zur Begegnung um den dritten Platz aufraffen.
„Wir haben jetzt alles beweint, was es zu beweinen gab. Und jetzt versuchen wir, am Samstag zu spielen und die Partie zu gewinnen“, meinte Brasiliens verletzter Superstar Neymar. Oranje-Flügelflitzer Arjen Robben schimpfte dagegen vor dem Mini-Finale in Brasília: „Es zählt nicht. Es geht nur um eine Sache, und das ist der Pokal.“ Bondscoach Louis van Gaal erkannte nach seiner Schimpftirade über den Wettstreit, der für Jugendturniere angemessen sei, dann aber doch noch einen Sinn: Noch nie sei eine niederländische Mannschaft bei der WM ohne Niederlage geblieben: „Das wollen wir jetzt erreichen.“
Sein Team erhielt nach dem Scheitern im Elfmeterkrimi aus der Heimat nur Respektsbekundungen, der Gastgeber musste sich nach dem blamablen 1:7 gegen Deutschland sogar öffentlich entschuldigen. Einigermaßen verzeihen werden die fußballverrückten Brasilianer wohl nur, wenn der Rekord-Weltmeister wenigstens noch die Niederlande schlägt. Im Duell der Verlierer gehe es darum, „den Menschen in Brasilien ein Stück Freude zurückzugeben“, sagte Coach Luiz Felipe Scolari.
Jetzt, meinte Hulk, haben wir ein Spiel, „das wir nicht spielen wollten“. Sein Mitspieler Dani Alves räumte als einziger Brasilianer ein, dass er keine große Lust auf das Spiel um die Bronzemedaillen hat: „Ich habe immer um erste Plätze gekämpft. Und wenn ich das nicht kann, ziehe ich es vor, mich mit anderen Dingen zu beschäftigen“, sagte der Profi vom FC Barcelona. Da er seinen Stammplatz verloren hat, wird er wohl ohnehin nur auf der Bank sitzen.
Für Gastgeber-Trainer Scolari wird es voraussichtlich ebenso ein Abschiedsspiel wie für Bondscach van Gaal. Anstatt auf der größten Fußball-Bühne ein letztes Glanzlicht setzen zu können, fühlt sich der streitbare Niederländer zum ungeliebten Duell der Verlierer verdonnert. Und auch für die goldene, ungekrönte Generation um Robben droht das Spiel der Schlusspunkt einer Ära ohne WM-Titel zu werden. „Ich hoffe, dass ich noch eine machen kann“, sagte Wesley Sneijder nach dem bitteren Scheitern im Halbfinale gegen Argentinien mit Blick auf die WM 2018 in Russland. „Aber es wird immer schwieriger.“
Theoretisch wäre für die Brasilianer das Spiel um Platz drei auch eine Revanche für das Viertelfinal-Aus gegen die Niederländer vor vier Jahren in Südafrika - aber den WM-Gastgeber plagen derzeit andere Sorgen. Zu tief sitzt die Schmach gegen Deutschland, zu groß sind die Fragezeichen um den künftigen Nationaltrainer.
Scolari will nicht davon reden, aber es gilt als beschlossene Sache, dass der Chefcoach der Weltmeister-Mannschaft von 2002 gehen muss. Zumal mit Adenor „Tite“ Bacchi (zuletzt Corinthians São Paulo) sowie U 20-Nationalcoach Alexandre Gallo bereits zwei Nachfolgekandidaten gehandelt werden. „Wir haben eine Verpflichtung mit dem brasilianischen Verband bis zum Ende der Weltmeisterschaft, das ist für uns jetzt das Spiel um Platz drei am Samstag“, sagte Scolari. Erst danach spreche man mit der Führung des brasilianischen Fußballverbandes CBF. Der Trainer erklärte die Begegnung um den Trostpreis zum neuen Traum der Seleção: „Wir wollen das Turnier wenigstens als Dritter beenden.“
Im Gegensatz zu Alves raffte sich Thiago Silva nach dem Debakel gegen Deutschland zu ein paar höflichen Sätzen auf. „Ich habe immer gesagt, dass unser einziges Ziel der Titel ist und dass uns der zweite, dritte oder vierte Platz egal ist“, meinte der Kapitän. „Es geht aber um unsere Ehre und Würde. Wenn du als Spieler das Trikot mit den fünf Sternen trägst, musst du es respektieren. Wir können eine neue Seite aufschlagen.“
Aber selbst bei einem Sieg wären die Bronzemedaillen für die Brasilianer etwa so wenig wert wie 1978, als das „kleine Finale“ gegen Italien mit 2:1 gewonnen wurde. Damals zog Gastgeber Argentinien durch ein 6:0 gegen Peru wegen des besseren Torverhältnisses ins Endspiel ein und holte sich gegen Holland den Titel. Bis heute spricht Brasilien von Bestechung. Neymar weiß nur zu gut, dass die Begegnung auch eine Chance zur Schadensbegrenzung ist. „Es war ein gewöhnlicher Fußball, nicht der Fußball einer brasilianischen Auswahl, der besser ist und alle begeistert“, meinte er selbstkritisch. Man müsse jetzt die Begegnung gegen die Niederlande angehen, „als ob es ein Endspiel wäre, und diese WM lächelnd beenden“.
Beim niederländischen WM-Zweiten von 2010 erklärte der Schalker Angreifer Klaas-Jan Huntelaar: „Für mich selber will ich das Turnier gut abschließen und Dritter werden und nicht Vierter.“ Er hofft nach bislang drei Kurzeinsätzen auf eine Chance, sein Können von Beginn an beweisen zu können.
Im Estadio Nacional geht es nicht nur um ein zusätzliches Preisgeld in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro, sondern auch um das Vermächtnis in den Geschichtsbüchern. Keiner könnte das den Niederländern besser erklären als Co-Trainer Patrick Kluivert, der tief enttäuscht nach dem Halbfinal-Aus 1998 das Spiel um Platz drei gegen Kroatien verlor - und dies später bitter bereute.